Von inneren Dämonen verfolgt

Kaum ein Tag vergeht bei der Viennale, an dem man nicht einen Film sieht, in dem ein psychisch kranker Protagonist im Mittelpunkt steht. Chantal Akerman "La folie Almayer" verweist schon im Titel auf den Wahnsinn, in Jeff Nichols´ "Take Shelter" gleitet ein Familienvater immer tiefer in eine Paranoia und in Nanni Morettis "Habemus Papam" erleidet sogar der Papst einen Nervenzusammenbruch.

Schwer depressiv ist die von Kirsten Dunst gespielte Justine in Lars von Triers "Melancholia", doch gerade sie wird angesichts des drohenden Weltuntergangs ruhig werden, während ihre scheinbar so vernünftige und organisierte Schwester Claire (Charlotte Gainsbourg) zunehmend panisch reagiert. Unter schweren psychischen Problemen leidet aber auch Keira Knightley als Sabina Spielrein in David Cronenbergs "A Dangerous Method". Laut schreiend und verkrampft wird sie 1904 in der Zürcher Klinik Burghölzli eingeliefert, wo C. G. Jung sie mit der neuen, von Sigmund Freud entwickelten Sprechtherapie heilen will. Ein Psychoanalytiker wird aber auch in den Vatikan gerufen, wenn in Nanni Morettis "Habemus Papam" der neu gewählte Papst einen Nervenzusammenbruch erleidet.

Zerbricht das Kirchenoberhaupt an der Bürde, die ihm von den Kardinälen auferlegt wird, so hat Spielrein eine traumatische Kindheit in die Krankheit getrieben. Dass Curtis in Jeff Nichols´ "Take Shelter" psychische Probleme hat, ist dagegen lange gar nicht so offensichtlich. Real wirkt der gewaltige Sturm, den der Familienvater in den ersten Szenen im ländlichen Ohio aufziehen sieht, mögen auch die braunen Regentropfen irritieren. Keinen Zweifel hegt man auch an der Existenz der gewaltigen schwarzen Vogelschwärme, die der Mann, der mit seiner Frau und der gemeinsamen taubstummen Tochter ein glückliches Leben führt, sieht.

Nicht weiter beunruhigend ist zunächst auch ein Alptraum, in dem wieder der Sturm aufzieht und Curtis vom panischen Haushund gebissen wird. Doch zunehmend heftiger werden diese Alpträume, die Nichols in einem Realismus inszeniert, durch den bald auch der Zuschauer nicht mehr entscheiden kann, was hier denn nun Realität und was Wahnvorstellung ist.

Dabei negiert Curtis diese psychische Destabilisierung keineswegs, geht zum Arzt und zu einer Therapeutin, besucht seine Mutter, die seit 25 Jahren wegen einer psychischen Erkrankung in einem Pflegeheim lebt. Doch den inneren Dämonen kann er sich nicht entziehen, steigert sich immer weiter hinein und verschuldet sich und seine Familie um einen Schutzbunker gegen den vermeintlich aufziehenden Riesensturm zu errichten.

Bildgewaltig und ungemein konzentriert ist das inszeniert, packt vom ersten Moment auch durch eine Musik, die das Gefühl eines nahenden Unheils verstärkt. Getragen wird "Take Shelter" aber auch und vor allem von einer exzellenten Besetzung, aus der Michael Shannon herausragt, der eindringlich dieses Abdriften des Protagonisten in den Wahn vermittelt.

Im Gegensatz zum zupackenden Stil des Amerikaners Nichols setzt die Belgierin Chantal Akerman, der auch die Retrospektive der heurigen Viennale gewidmet ist, in "La folie Almayer" vor allem auf atmosphärisch dichte Bilder. Frei nach einem Roman von Joseph Conrad erzählt sie vom inneren Zerfall des im Dschungel von Malaysia lebenden holländischen Händlers Almayer. Während Almayer sich in der Fremde wie in dem undurchdringlichen Dschungel verliert, kehrt seine Tochter entwurzelt aus einem europäischen Internat, in dem sie als Weisse erzogen werden sollte, zurück. Eindringlich beschwört Akerman in langen gleitenden Kamerafahrten durch den Dschungel und über Flüsse ein Gefühl der Verlorenheit, der Entwurzelung und Fremdheit und eröffnet so einen Diskurs über Heimat und Fremde.

Willkommene Abwechslung zu diesen Reisen in psychische Abgründe, in die auch der furiose Viennale-Trailer von David Lynch entführt, bietet das Debüt des jungen US-Regisseurs Zach Weintraub. In "Bummer Summer" erzählt Weintraub im Stil des frühen Jim Jarmusch von ein paar Jugendlichen, die einen Sommer lang ziemlich orientierungslos herumhängen und einen Trip durch den Bundesstaat Washington unternehmen. Nicht viel passiert im Grunde, aber beglückend ist dieser mit einer digitalen Spiegelreflexkamera gedrehte Film durch seine lakonische Erzählweise, die unbefangene Schwarzweißfotografie, bei der bewusst auch mal Personen nur halb oder unscharf im Bild sind, vor allem aber durch das erfrischend natürliche Spiel der Darsteller. – Ein Versprechen für die Zukunft ist dieser Film und man darf hoffen von Zach Weintraub in den nächsten Jahren wieder einen Film auf der Viennale oder einem anderen Festival und danach vielleicht auch in den Kinos zu sehen.