Von Herz zu Herz

18. September 2013 Rosemarie Schmitt
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Es ist eine von vielen Einspielungen, doch eine der interessantesten! An Tangos von Astor Piazolla haben sich bereits so einige versucht, hin und wieder gelungen, selten mit Piazolla den Vergleich stand haltend. Es ist die Crux jener, die sich an den Interpretationen der Komponisten messen lassen müssen. Ein Segen für so manchen, der beispielweise- und los Chopin spielt, daß von diesem Compositeur keine Aufnahme existieren kann.

Doch die niederländische Geigerin Isabelle van Keulen und ihr Ensemble machen nicht den Fehler Piazolla kopieren zu wollen. Sie nehmen sich dessen Kompositionen zu Herzen, und spielen sich genau auf diesem Wege in die Herzen aller, die Musik, und im Besonderen den Tango lieben. "Music from the heart" so lautet auch der Titel der Dokumentation, die auf der DVD "Tango!" als zusätzliches Material zu sehen und zu hören ist. In diesem Falle eine willkommene Informationsquelle, ist doch das Booklet etwas karg gehalten. Außer den kurzen, sehr kurzen, englischen Biografien der Musiker erfährt man lediglich noch die Bezeichnungen der einzelnen Titel, ohne Angaben der jeweiligen Spieldauer. Aber das ist auch schon das Einzige, was mir zu meckern bleibt an dieser Aufnahme!

Die Leiterin des Ensembles Isabelle van Keulen und der Kontrabassist Rüdiger Ludwig sind ein Paar. Vor einigen Jahren lernten sie sich bei einem Konzert in Buenos Aires kennen. Beide entdeckten ihre nähere Beziehung zueinander und zum Tango. Nun sind beide gleichermaßen tangoverliebt. Ja, Tango verliebt! Die Harmonie der beiden spiegelt sich wundervoll in dem Titel "Tanti Anni Prima" wieder. Rüdiger Ludwig streicht hier seinen Baß sanft wie ein Cello, mit einem wundervoll sanften Vibrato, das nach dem Ton nicht sucht, indes Sucht nach dem Ton erfacht.

Wie kommt man zum Tango? Stellt man diese Frage einem Tango-Musiker, so lautet in neun von zehn Fällen die Antwort: durch Piazolla, Piazolla, Piazolla...! So auch bei Rüdiger Ludwig und Isabelle van Keulen, die, als sie sechs war, von ihrer Mutter eine Astor Piazolla Doppel-LP geschenkt bekam. Zum Verständnis für die jüngeren Leser: LP steht für Langspielplatte. Schallplatten sind aus schwarzen Vinyl, bekommen mit der Zeit Kratzer, anhand derer man sie ihren Besitzern hundertprozentig zuordnen kann (ähnlich der Fingerabdrücke eines Menschen), sie haben zwei Seiten (!) und benötigen ein spezielles Abspielgerät, den Schallplattenspieler!

Was van Keulen, die Musikerin mit der klassischen Ausbildung, so fasziniert am Tango und speziell an der Aufnahme jener DVD (Challenge Records CC72609)? Dieses Schmutzige, in der klassischen Musik verbotene Kratzen auf der falschen Seite des Violin-Steges beispielsweise, oder jenes wie zufällig klingende Glissando, dieses versehentliche scheinende Abrutschen, das stundenlanges Proben erforderte. Die Pianistin des Ensembles, Ulrike Payer sagt, man spiele den Tango nicht so wahnsinnig gepflegt. Von wegen! Selten habe ich sowas gepflegtes, wie dieses Klavierspiel von Payer gehört! Irre flink, virtuos, brillant, emotional packend, dies alles gepaart mit einem saloppen Perfektionismus, einfach wahnsinnig "tangoistisch"!

Sollten Sie sich fragen, wo denn nun das Tangoinstrument überhaupt, das Bandonéon bleibt, antworte ich: Das ist, und da bleibt es am besten, in den Händen von Christian Gerber, einem der begabtesten und vielseitigsten Bandoneónisten der jüngeren Generation in Europa! Er, wie auch die übrigen Musiker dieses Quartetts treten auf wundervolle Weise dadurch hervor, daß sie zum richtigen Zeitpunkt zurückzutreten wissen. Jeder spielt jedem zu, und niemanden nieder. Sie spielen den Tango von Herz zu Herz und direkt in die Herzen derer, die Isabelle van Keulen und ihr Tango-Ensemble erleben dürfen!

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt