Volksbegehren

Begehren ist eigentlich positiv konnotiert. Aufbegehren eher negativ. Volksbegehren haben in Österreich nur eine kurze Tradition, und sprechen nur wenige an. Im Großen und Ganzen können die etablierten Machthaber gelassen den Begehren entgegenblicken – und abtun.

Österreich ist durchorganisiert, ein Bürokratiedschungel, verfilzt. Leidet an hoher Korruption, an indirekten, undurchsichtigen Verbindungen und Seilschaften. Einige außerparlamentarische Einrichtungen werden als Novum sogar gepriesen, z. B. die sogenannte Sozialpartnerschaft. Andere werden negiert oder, wenn das nicht mehr geht, heruntergespielt, z. B. Parteienherrschaft, Kirche(n).

Jetzt stehen zwei wichtige Volksbegehren an: Eines, "Demokratie Jetzt!" will eben diese Parteienwirtschaft korrigieren, ein neues Wahlrecht installieren, die direkte Demokratie festigen und ausbauen, bessere Maßnahmen gegen die Korruption setzen, eine neue Medienförderung. Nichts Revolutionäres. Der Bundesrat soll abgeschafft werden, was als Schritt für einen "neuen Föderalismus" interpretiert wird. Der ORF soll nur reformiert werden. Dass er endlich privatisiert werden könnte, ohne Zwangsgebühren für das Volk, wird nicht bedacht. Auch der Rechnungshof bleibt, was er ist: eine zahnlose Einrichtung mit Prüf- und Empfehlungmöglichkeiten. Keine Forderung nach Durchsetzungsmacht wie bei Gerichten. Obwohl also relativ zahm, erscheinen die Forderungen vielen als gefährlich.

Eine große Gefahr sieht vermutlich eine Mehrheit vor allem im Volksbegehren gegen Kirchenprivilegien. Die Österreicher haben sich schon so lange an ihre Bevormundung gewöhnt, an die unselige Verbindung von Staat und Kirche, dass ihnen eine längst fällige Trennung, wie sie jeder säkularen Republik ansteht, als unvernünftig, als obszön vorkommt.

Vor allem die römisch-katholische Kirche, die ja seit dem Austrofaschisten Dollfuß ein Konkordat mit dem Staat Österreich hält, einen sie enorm bevorteilenden Staatsvertrag, gewinnt allerdings durch die grassierende Religiosisierung, vor allem seitens der Moslems. In diesem Klima ist nicht zu erwarten, dass das Volksbegehren breite Unterstützung gewinnt. Die Mehrheit duckt sich, passt sich ein und findet das noch kultiviert. Das Abendland, Europa, wird ja, ihrer Meinung nach, durch die Kirchen "verteidigt". Und, nicht zu vergessen, die vielen karitativen Tätigkeiten.

Ähnlich wie bei der Frage der Heeresreform, die die breite öffentliche Meinung hauptsächlich in der Sorge berührte, dass man doch die tapferen Soldaten für den Katastrophenschutz und die braven Zivildiener für die Pflegedienste brauche, eine Art Fronarbeit als Wirtschafts- und Sicherheitsersatz also, wird hier im "Geistigen", im religiös-kulturellen Bereich, Ähnliches reklamiert: Religion als Heimat, als eine Art Rückversicherung. Und ohne Kirche kann sie fast niemand Religion vorstellen. ...

Das Volk, das es so nicht gibt, darf begehren. Die Macht, die es so auch nicht gibt, sondern komplex aufgefächert, darf eben in dieser nebulosen, verdeckten Auffächerung nicht geklärt, nicht wirklich kontrolliert werden. Wo kämen wir denn hin damit? In republikanische Zustände vielleicht, die den meisten im Kern verhasst sind.

Nein, die einen sehen in ein paar Reformen die Demokratie im Jetzt und Hier angekommen, die anderen hoffen, endlich klare Verhältnisse herbeiführen zu können. Aber die Mehrheit wird beweisen, dass es ihr passt, wie’s ist, auch wenn sie meckert und raunzt. Ich würde mich gern vom Gegenteil überzeugen lassen.