Visuelle Poesie – Zeitgenössische Plakate aus dem Iran

Die Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich präsentiert aktuelle iranische Plakate und zeigt auf, wie Gestalter:innen eine unorthodoxe Interpretation des persischen Kulturerbes mit zeitgenössischen Tendenzen im internationalen Grafikdesign verbinden. Im Kontext der andauernden Proteste im Iran gegen ein zutiefst repressives Regime wird mit weiteren grafischen Exponaten auch die gegenwärtige Situation beleuchtet. Die Plakatsammlung des Museum für Gestaltung Zürich verfügt über einen bedeutenden Bestand an iranischen Plakaten, der jüngst um rund 200 Arbeiten der letzten 20 Jahre bereichert wurde.

Die Ausstellung "Visuelle Poesie – Zeitgenössische Plakate aus dem Iran" konzentriert sich auf die Neuzugänge. So vielseitig die gestalterischen Ansätze auch sind, stets manifestiert sich darin die Suche nach einer Verschmelzung von Historie und Zeitgenossenschaft, eigener Tradition und westlicher Inspiration, Kunst und Alltagskultur. Die Plakate stehen auch für einen kreativen Freiraum in Krisenzeiten, ihre häufig symbolisch verschlüsselte, poetische Bildsprache durchbricht kulturelle und politische Einschränkungen des Systems. Manche Plakate scheinen gängige westliche Vorstellungen islamischer Ästhetik zu bestätigen, während andere diese radikal unterlaufen und unseren Blick irritieren und überraschen. Sie sind immer auch als ein Medium zu verstehen, dass sich der Definitionsmacht des Regimes über das eigene Erbe widersetzt. Mit ihrer Bewerbung verschiedener Ereignisse lassen sie uns teilnehmen am vielfältigen, international ausgerichteten Kulturleben in iranischen Städten.

Iranische Gestalter:innen verbindet ein künstlerisches Selbstverständnis. Während das Stadtbild von überdimensionalen kommerziellen Werbeflächen und Staatspropaganda geprägt ist, hängen Kulturplakate in geschützten Innenräumen und sprechen gezielt ein kulturinteressiertes, gebildetes Publikum an. Die Plakate kündigen Ausstellungen an, werben für Theaterfestivals, Filme und Konzerte. Eine Sonderrolle nehmen Hommage-Plakate ein, die sowohl geistliche als auch weltliche Leitfiguren der persischen Geschichte würdigen. Farbigkeit, Kalligrafie und grafische Sprache der Plakate verraten häufig, ob das eigene Kulturerbe im Fokus steht oder zeitgenössisches, urbanes Kunstschaffen verhandelt wird.

Prägendes Ausdrucksmittel der iranischen Plakate ist die Kalligrafie. Aufgrund der Komplexität der Schriftzeichen wurden diese lange Zeit nur von Hand geschrieben und Plakate im Lithoverfahren reproduziert. Die persische Kalligrafie, nicht zuletzt durch das Bilderverbot im Islam hochentwickelt, wird noch heute als Kulturerbe verehrt und gepflegt. In den 1980er-Jahren setzen sich digitalisierte Alphabete durch. Ziel ist es, das ästhetische Potenzial der Fārsi-Schriftzeichen zu erhalten und gleichzeitig in die typografische Moderne zu übertragen. Damit wird auch der eingeschränkten westlichen Wahrnehmung begegnet, welche die persische Schriftkunst oft einzig als spirituellen, folkloristischen Kosmos begreift. Die tiefe Verankerung von persischer Dichtkunst in der Alltagskultur ebenso wie das reiche Erbe der Buchmalerei sind die Basis für das stets neu interpretierte und in die Moderne übersetzte Zusammenspiel von Schrift und Bild, welches das Medium Plakat erklärtermassen bestimmt.

Iranisches Grafikdesign blickt auf eine junge Geschichte zurück. Wie zuvor im Westen hundert Jahre früher, absolvierten die ersten Gestalter:innen eine freie künstlerische Ausbildung und entwarfen in den 1960er-Jahren malerisch-illustrative Plakate. Die in diesen Jahren forcierte Öffnung zum Westen beförderte auch den globalen kulturellen Austausch. Die Ausrufung der Islamischen Republik 1979 markierte in der Entwicklung des Grafikdesigns jedoch einen markanten Bruch, der durch den Ersten Golfkrieg verstärkt wurde. Ende der 1980er-Jahre knüpfte eine neue Generation von Gestalter:innen an das grafische Erbe der Vorkriegszeit an. Um die Jahrtausendwende eroberte das iranische Plakat internationale Festivals und erregte in der westlichen Community grosses Aufsehen.

Nach 2009 und 2019 erschüttern seit September 2022 erneut massive Proteste den Iran, ausgelöst durch den gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini. Den Aufständen wird mit brutalster Repression begegnet. In den sozialen Medien begleiten zahlreiche visuelle Kommentare die jüngsten Proteste, rufen zum Widerstand auf oder bekunden ihre Solidarität. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl dieser virtuellen Bildbotschaften. Die kleine Ausstellung Revolution der Anonymen, im Dezember 2022 kuratiert von Alexander Cyrus Poulikakos, Niloofar Rasooli und einer anonymen Person, ist Teil der Plakatausstellung. Sie zeigt Karten, Schablonen und Videos, die den gegenwärtigen historischen Moment im Iran festhalten.

Visuelle Poesie – Zeitgenössische Plakate aus dem Iran
21. Juli bis 29. Oktober 2023