Unterdrückung im Iran, "Blow up" auf argentinisch

Große Arthouse-Filme, die demnächst in den Kinos anlaufen werden, laufen bei der Viennale neben kleinen Filmen, die kaum einen Verleiher finden werden. So kann man an einem Tag Lars von Triers "Melancholia" und "Le gamin au velo" der Dardenne-Brüder neben der beklemmenden Frauenstudie "Bé omid é didar – Good Bye" des Iraners Mohammad Rasoulef und dem über das Ende hinaus irritierenden "Ostende" der Argentinierin Laura Citarella sehen.

Auf Lars von Trier, der mit "Melancholia" wohl kaum seinen besten, aber sicherlich seinen visuell schönsten Film drehte, und "Le gamin au velo" der Dardenne-Brüder wird man näher eingehen, wenn diese beiden großartigen Filme in den nächsten Monaten ins Kino kommen. Mohammad Rasoulefs "Bé omid é didar – Good Bye" und Laura Citarellas "Ostende" wird man dagegen außerhalb von Festivals kaum sehen.

Ein Rätsel bleibt es, wie ein Film wie "Bé omi é didar" im Iran überhaupt entstehen konnte. Mohammad Rasoulef wurde schon 2010 mit seinem Kollegen Jafar Panahi während Dreharbeiten zu einem Film über Proteste nach der iranischen Präsidentschaftswahlen 2009 verhaftet und wie Panahi zu sechs Jahren Haft verurteilt. Ein Berufungsgericht hat die Haftstrafe für Rasoulef vor kurzem auf ein Jahr reduziert, die von Panahi aber sowie dessen 20-jähriges Arbeitsverbot aber bestätigt.

Deutlicher als mit dem Satz "Lieber in einem fremden Land eine Fremde sein als eine Fremde im eigenen Land" kann man Regimekritik wohl kaum formulieren. Die schwangere Noura sagt dies. Wieso sie ihre Anwaltslizenz verloren hat, bleibt unklar, gewiss ist aber, dass sie ausreisen will. Unklar bleibt auch das Schicksal ihres Mannes. Als Journalist einer regimekritischen Zeitung saß er schon im Gefängnis, jetzt soll er sich im Süden des Landes aufhalten.

Schwangerschaft und Kind sollen es erleichtern in einem anderen Land eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten, doch zunehmend denkt Noura auch an Abtreibung. Ohne Mann ist sie im Iran allerdings praktisch handlungsunfähig, kann nicht einmal ein Hotelzimmer mieten oder die Reise buchen. Mit Bestechung läuft dann aber doch wieder einiges. Zudem wird Noura von der Polizei bespitzelt, sodass sich die Hoffnungen von Freiheit, die im Hintergrund immer wieder startende und landende Jets suggerieren, nicht erfüllen werden.

In kalten Blau- und Grautönen, in zahlreichen nahen Einstellungen, die nie ein Gefühl von Weite aufkommen lassen, und in langen statischen Einstellungen evoziert Mohammad Rasoulef die Atmosphäre einer bleiernen Zeit, der Hoffnungslosigkeit und allgegenwärtigen Repression und Bespitzelung. Nur sukzessive gibt der 38-jährige iranische Regisseur Informationen preis, und zeichnet in zurückgenommener Erzählweise ein zunehmend komplexeres und bedrückenderes Bild der Ohnmacht der Frau im Iran.

Ganz aufs Private und Philosophische beschränkt sich dagegen die Argentinierin Laura Citarella in ihrem ersten Langspielfilm "Ostende". Citarella schickt eine junge Frau in einen Badeort in der Nebensaison. In einer Quizshow hat sie einen viertägigen Urlaub gewonnen, ihr Freund wird erst am Wochenende nachkommen. So hängt die Frau in der Hotelanlage herum, beobachtet vom Zimmer aus das Treiben am Swimmingpool, hört Geräusche im Nachbarzimmer. Vor allem ein Mann in roten Shorts, der mit zwei Frauen unterwegs ist, weckt ihr Interesse und sie beginnt ihm nachzuspionieren.

Wirkliche äußere Handlung gibt es im Grunde kaum, dem im argentinischen Kino beliebten Minimalismus ist "Ostende" verpflichtet. Geschickt doppelt Citarella aber die Beobachterposition. Wie die Frau die Hotelbewohner beobachtet, so lässt sie den Zuschauer die Frau beobachten. Im gelangweilten Herumhängen regt der Voyeurismus freilich wieder die Fantasie an, führt zu abenteuerlichen Spekulationen. – Oder sind die Frau und damit auch der Zuschauer etwa wirklich einem Verbrechen auf der Spur?

In der Beschränkung auf die Perspektive der Frau bewahrt der exzellent fotografierte und in der Hauptrolle von Laura Paredes sehr stark gespielte Film das Rätselhafte, erinnert im Spiel mit Wahrnehmung und Interpretation der Wahrnehmung stark an Michelangelo Antonionis "Blow Up" und schürt die Thrillerspannung zusätzlich noch durch entsprechende Musik.

Gespannt folgt man so den Beobachtungen der Frau, versucht ihre Wahrnehmungen zu klären, stellt selbst Spekulationen an und versucht Hinweise dafür zu finden, was wirklich los ist. Am Ende wird man dann zwar mehr wissen als die Frau, wird Augenzeuge bleiben, während sie schon mit ihrem Freund mit einem Taxi abgereist ist - und trotzdem mit einem Rätsel den Kinosaal verlassen.