Unkraut als Metapher für das Wilde

Das Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum zeigt bis 27. Oktober 2013 eine umfangreiche Werkschau zu Lois Weinberger anlässlich seines 65. Geburtstags. Der renommierte Tiroler Künstler hat dafür über 50 seiner Werke von den späten 1970er Jahren bis heute ausgewählt, die in Tirol bislang nicht ausgestellt waren. Weinberger arbeitet auf unkonventionelle Weise mit dem Verhältnis zwischen Natur- und Zivilisationsraum.

Er lenkt den Blick auf Randzonen unserer Gesellschaft und stellt Hierarchien in Frage. Seine Zeichnungen, Texte, Fotografien, Skulpturen und Marginalien eröffnen mitunter archaische und mystische Welten. In der Ausstellung zu sehen sind zentrale Arbeiten wie seine installative "Invasion" von Baumschwämmen, seine "Wilde Cubes" und Varianten seines "Green Man". Als sichtbares Zeichen nach außen gestaltet Weinberger auf dem Balkon des Museums eine Installation mit Pflanzen.

Prägend für das künstlerische Schaffen Weinbergers sind seine Kindheitserfahrungen mit Tieren und Pflanzen, mit Bräuchen und Riten auf dem elterlichen Bauernhof in Tirol. 1977 gibt Weinberger den erlernten Schlosserberuf auf und beginnt, sich auf unkonventionelle Weise mit dem Verhältnis zwischen Natur- und Zivilisationsraum auseinanderzusetzen. Zunächst sammelt er Objekte und Fundstücke aus seiner Umgebung und startet eine "fragmentarische Bestandsaufnahme" seines Heimatorts, ohne damit ein Kunstwollen zu beabsichtigen. Bald erweitert er seinen Radius auf einen sich stets in Änderung befindlichen Handlungsraum und beschäftigt sich mit Motiven und Symbolen aus der Tier- und Pflanzenwelt.

Weinbergers Aufmerksamkeit gilt in erster Linie dem zumeist Unbeachteten, dem Marginalen und dem an den Rand der urbanen Existenz Gedrängten. Besonders interessieren den Künstler die Ruderalpflanzen, die gemeinhin als "Unkraut" angesehen werden. Die Trümmerflora, die sich als Erstbewuchs auf Schutthalden und Brachen bildet, die durch den Menschen nicht gebändigte Natur, wird kennzeichnend für seine Arbeit. Mit den Ruderalpflanzen besetzt er symbolhaft ein weites Feld. Sie sind eine Metapher für den Widerstand gegen die vorherrschende Ordnung bzw. für Freiheit. Seine Arbeitsweise und sein künstlerisches Arbeitsfeld umreißt Weinberger mit dem Begriff "Ruderal Society". Er distanziert sich damit von jeglicher Vereinnahmung durch die Ökologiebewegung unserer Zeit sowie das reglementierende Eingreifen in die Prozesse der Natur.

Anfang der 1990er Jahre entwirft Weinberger den "Wild Cube" – eine Torstahl-Einfriedung, die der Beachtung von Spontanvegetation dient und ordnende Kräfte in Frage stellt. Gleichzeitig beginnt der Künstler mit den subversiven Pflanzentransfers im Stadt- und Landschaftsraum. Von 1988 bis 1999 bebaut er sein "Gartenarchiv", ein Stück Land am Rande von Wien in der Nähe der Alten Donau. Das "Gebiet" wird zum Reservoir von gefährdeten Pflanzen aus Osteuropa.

Ab Mitte der 1990er Jahre verwandelt Weinberger alltägliche Transportmittel wie Einkaufstaschen in "transportable Gärten". Sein mit aus Süd- und Südosteuropa stammenden Neophyten bepflanztes Bahngleis bei der documenta 1997 in Kassel, das als Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit zu sehen ist, oder sein karger Dachgarten auf dem Watari Museum in Tokio sorgen für Furore. Das für die neue Sozial- und Wirtschafts-wissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck 1999 geschaffene Kunst-am-Bau-Projekt "Garten – eine poetische Feldarbeit" wird über mehrere Monate von Demonstrationen bekämpft und von der Politik verunglimpft.

Ein Großteil der Arbeiten von Weinberger ist einer ständigen, naturbedingten Veränderung unterworfen. Mit dem Medium der Fotografie dokumentiert der Künstler seine wachsenden, blühenden und verblühten Positionen. Seine Fotos erzählen von gesellschaftlichen Phänomenen wie Migration, Ausgrenzung, von Vergänglichkeit und Schönheit abseits von Ordnung und Struktur. Sie zeigen den Künstler inmitten seines Materials.

Das geschriebene Wort hat bei Weinberger eine ebenso große Bedeutung wie seine zufällig erscheinenden Fundstücke, Notizen, Zeichnungen, Aquarelle, Collagen, Objekte, Fotos, Filme und Arbeiten im öffentlichen Raum. Seine Beschreibungen, Sätze und Texte handeln nicht über seine Kunst, sondern sie sind Teil davon. Oftmals wirken sie selbst wie grafische Arbeiten und Bilder, die nicht illustrieren oder interpretieren, sondern interpunktieren. "Brachen / Peripherien / Lücken im Urbanen / sind Orte, an denen sich die Grenzen als Weiterführendes – Bewegtes – Unsicheres zeigen", steht z. B. am Beginn eines 1990 verfassten Textes.

Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Künstler präsentiert im Ferdinandeum über 50 seiner in Tirol bislang nicht ausgestellten Werke von den späten 1970er Jahren bis heute. Die Ausstellung, die wie ein Pfad durch das rund 40-jährige Schaffen Weinbergers angelegt ist, beginnt mit Exponaten, die noch in seinem Heimatort Stams entstanden sind, und endet mit aktuellen Arbeiten aus seinem Atelier in Gars am Kamp.

Zur Ausstellung erscheint die Begleitpublikation "StudioHefte 14. Lois Weinberger" mit einem Vorwort von Wolfgang Meighörner und einem Text von Günther Dankl. Sie dokumentiert die Werkschau mit über 30 Abbildungen (ISBN 978-3-900083-44-1, Preis EUR 5, online bestellbar unter www.tiroler-landesmuseen.at). Ebenfalls im Museumsshop der Tiroler Landesmuseen erhältlich ist die 2013 im Hatje Cantz Verlag erschienene, umfassende Monografie zu Lois Weinberger.

Lois Weinberger
17. Mai bis 27. Oktober 2013