Und tschüss, El Bulli!

15. August 2011 Kurt Bracharz
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Das Restaurant, das zumindest von großen Teilen des deutschsprachigen Feuilletons jahrelang als das weltbeste gefeiert wurde, Ferrán Adriàs "El Bulli" nahe der Stadt Roses an der Costa Brava, hat nun also als Esslokal endgültig seine Pforten geschlossen, sein Name wird aber als der einer Stiftung weiterbestehen. Zweck der "El Bulli"-Stiftung, deren Gebäude 2014 eröffnet werden soll, ist die Suche nach neuen Rezepten und Konzepten für die Gastronomie.

Adrià hatte das "El Bulli", das nach der französischen Bulldogge der deutschen Besitzer benannt war und ursprünglich zu einem 1961 errichteten Minigolfplatz gehörte, aber schon in den 1970er-Jahren unter dem französischen Küchenchef Jean Louis Neichel einen Michelin-Stern erhalten hatte, 1984 übernommen und zunächst die katalanische Küche modernisiert, dann aber immer ausgefallenere Speisen ersonnen und seinen Gästen in bis zu 50 kleinen Portionen vorgesetzt. Obwohl ein nicht unerheblicher Teil der jährlich 8000 Gäste Adriàs Kreationen eher als interessant denn als wohlschmeckend empfand, musste der schnell weltbekannt gewordene Koch viele Reservierungswünsche ablehnen. Als er 2007 von Roger M. Buergel zur Kasseler documenta eingeladen wurde, sagte er zunächst zu, sah sich dann aber außerstande, den documenta-Besuchern die von Buergel versprochene "künstlerische Erfahrung" in Kassel zu ermöglichen, und lud stattdessen an jedem Tag der Kunstmesse zwei Personen ins "El Bulli" ein.

Der deutsche Food-Journalist und Restauranttester Jörg Zipprick sieht die Küche von Ferrán Adrià, Heston Blumenthal und anderen, mit denselben Methoden arbeitenden Köchen als trojanisches Pferd der chemischen und der Aromenindustrie, da ihre Besonderheit hauptsächlich auf altbekannten Zusatzstoffen beruht, die zwecks Verschleierung jetzt "Texturas" genannt werden. „Traditionelle Köche, die früher mit Kalbsfüßen gelierten, verwenden heute Alginat – weil es der weltbeste Koch auch benutzt“, sagte Zipprick in einem Interview mit "profil" 11/2011, und in seinem Buch "In Teufels Küche", Frankfurt am Main 2011, schreibt er: "Ferran Adriàs "Power Pulver" waren die Lebensmittelzusatzstoffe E 322, E 331, E 400, E 406, E 407, E 415, E 418, E 461, E 473, E 475, E 509, E 578, E 327 sowie Maltodextrin."

Ab Seite 225 kann man über Projekte wie das mit EU-Geldern geförderte INICON (Introduction of Innovative Technologies in Modern Gastronomy for the Modernisaton of Cooking) und Institute wie das ttz (Technologie-Transfer-Zentrum) in Bremerhaven nachlesen. Was die mit Adrià zu tun haben? Zipprick weist nach, dass Techniken wie die "Sphärifikation", die Herstellung kleiner Nahrungskugeln wie z. B. "künstlicher Kaviar", eine angebliche Erfindung Adriàs aus dem Jahre 2003, in Wirklichkeit aus solchen Quellen stammen und zählt vier einschlägige US-Patente für "essbare Mikrosphären" auf, die alle vor 2003 angemeldet und akzeptiert wurden. Er zitiert den Geschäftsführer des ttz, Werner Mlodzianowski: "Die Techniken der sogenannten Molekulargastronomie sind in der Industrie seit Jahren und Jahrzehnten bekannt. Kein Koch hat hier irgendetwas erfunden. (...) Ich kenne Adriàs "Labor". Dort werden Rezepte probiert. Von Analytik bis Lagerung ist es zur Forschung nicht geeignet."

Der deutsche Koch Vincent Klink antwortete auf die Frage, was er von Experimenten wie denen Adriàs halte: "Was der Kollege aus Nordspanien macht, tut er aus Überzeugung. Ich finde das für unseren Beruf durchaus interessant, für mich selber nicht – das muss auch nicht sein. Wenn jemand Ferran Adriàs mit Olivenöl gefüllte Gelatine-Olive probiert, wäre es nicht schlecht, wenn er vorher mal eine Olive aus Ligurien gegessen hätte." (In: der blaue reiter. Journal für Philosophie, Nr. 28: "Das gute Leben").

Die Erfahrungen der Documenta-Gäste im "El Bulli" sind in dem von Richard Hamilton und Vincente Todolí herausgegebenen Buch "Food for thought, thought for food" (Verlag Actar 2010) veröffentlicht worden. Der Kunststudent Manuel Washausen, der als Fremdenführer an der Documenta tätig gewesen war, formulierte sein Resumee so: "Das Essen im El Bulli war eine Erfahrung und es war Kunst. Es hat mir sehr gefallen und ich musste mich übergeben. M. W."