Über die Metapher des Wachstums

Wachstum gilt als gesellschaftlicher Leitwert. Er ist eng verknüpft mit einem tief verwurzelten Fortschrittsglauben, nach dem die existentiellen Probleme der Menschheit durch die Entwicklung von Technologie und Zivilisation lösbar sind. Angesichts globaler Katastrophen wie dem nuklearen Unglück in Japan, den Nachwirkungen der letzten Finanzmarktkrise und fortschreitender Ressourcenverknappung, zeigen sich aber zunehmend die Grenzen des Wachstums. So rückt gegenwärtig auf der politischen Agenda in Deutschland die Debatte um eine Abkehr von der Wachstumsgesellschaft nach oben und der Bundestag hat jüngst eine eigene Enquete-Kommission zu diesem Thema eingerichtet.

Das Ausstellungsprojekt "Über die Metapher des Wachstums" versammelt 28 internationale zeitgenössische künstlerische Positionen, die sich mit dem Begriff des Wachstums auseinandersetzen. Das Projekt ist eine Kooperation zwischen dem Kunstverein Hannover, dem Frankfurter Kunstvereins und dem Kunsthaus Baselland und findet in den drei Häusern in drei zeitlich versetzten Ausstellungen statt. Diese setzen an jedem Ort unterschiedliche Schwerpunkte und tragen je eine eigene kuratorische Handschrift. Im Frankfurter Kunstverein werden 15 künstlerische Positionen vom 27. Mai bis 31. Juli 2011 zu sehen sein. Wachstum wird im Allgemeinen positiv bewertet. Die aus der Biologie entlehnte Metapher beinhaltet allerdings auch eine natürliche Grenze, den Zustand des Ausgewachsen seins sowie den Kreislauf von Werden und Vergehen.

Die künstlerischen Arbeiten der Ausstellung setzen sich in unterschiedlichen Ansätzen und Medien mit der Ambivalenz der Wachstumsmetapher zwischen Wohlstand und Fortschrittsglauben auf der einen sowie Vergänglichkeit und Erneuerung auf der anderen Seite auseinander. Ausgangspunkte bilden dabei Fragen nach biologischen Kreisläufen, nach Produktionsbedingungen oder auch Auseinandersetzungen mit den ökologischen Auswirkungen einer expansiven Ökonomie. Oftmals weisen die Kunstwerke selbst einen metaphorischen Charakter auf.

Mit einem natürlich anmutenden Wachstumsbegriff beschäftigen sich beispielsweise die Arbeiten des belgischen Künstlers Peter Buggenhout. Seine dunklen, amorphen Skulpturen der Serie "The Blind Leading The Blind" (2009/10) bestehen aus Materialien wie Schrott, Holz, Aluminium, Kunststoff, Staub und organischen Bestandteilen. Sie erinnern an überwucherte Schiffswracks oder Überreste von Bauruinen und spielen sowohl mit der Schönheit des autonom wachsenden Gebildes als auch mit dem morbiden Charakter verrottenden Schrotts. Buggenhouts raumgreifende Arbeit für den großen Saal im Frankfurter kann als abstraktes Bild für den biologischen Kreislauf von Werden und Vergehen gedeutet werden.

Das Schweizer Künstlerduo Gerda Steiner & Jörg Lenzlinger schafft mit raumfüllenden Installationen aus organischen und technischen Materialien – oft Überreste unserer schnelllebigen Arbeitswelt – Metaphern für die Unkontrollierbarkeit von Wachstum. Vor einer Endlostapete, die ein buntes Ornament aus biologischen Vernetzungen über eine Wand des Kunstvereins zieht, zeigen Steiner & Lenzlinger ihre "Samensammlung aus Mali" (2003). Auf einem Holztisch liegen auf kleinen Papieren ausgebreitet 100 Samenhäufchen. Diese kostbaren kleinen Erbgutträger bergen das ungeahnte Potential neuen Wachstums.

Um Produktionsbedingungen, Zusammenhänge von Arbeit, Geld und Wertschöpfungsprozesse drehen sich unter anderem die Arbeiten von Marisa Argentato & Pasquale Pennacchio, Mark Boulos und Mika Rottenberg. So analysiert Rottenberg beispielsweise in den rätselhaften Bildwelten ihrer Videos manuelle Produktionsprozesse. Ein kleines Guckloch in der Ausstellungswand des Frankfurter Kunstvereins gewährt den Blick in ein Kaleidoskop, in dem das Video "Fried Sweat" (2008) gezeigt wird. Die Künstlerin lässt hier einen der Protagonisten, einen Bodybuilder, selbst produzierten Schweiß in einer Bratpfanne verdampfen – eine Metapher für extremes Über-sich-Hinauswachsen- Wollen, das mit der körperlichen Auflösung beim Schwitzen seine Grenze erreicht.

Aus gewöhnlichen Gegenständen wie Papierkörben und Leitern lässt hingegen Sylvie Fleury wertvolle vergoldete Bronzen anfertigen. Nicht eine Konsumkritik, sondern die Tyrannei des Begehrens solcher Luxus-Objekte, deren Erwerb an erhebliche finanzielle Mittel gebunden ist, führt die Schweizer Künstlerin dem Betrachter hier vor Augen. Die goldene Leiter "Ladder" (2007) steht somit metaphorisch für ein Aufstiegsversprechen. Denn nur wer erfolgreich die Karriereleiter erklommen hat, hat auch die Mittel, solche Kunstwerke zu besitzen.

Einen kritischen Blick auf ökonomische Wachstumsprozesse werfen neben dem Berliner Kollektiv Mindpirates auch die Künstler Dan Peterman, Ulrich Gebert, Mark Boulos und Tue Greenfort. Letzterer beschäftigt sich beispielsweise mit den Auswirkungen menschlicher Handlungen auf das Ökosystem, insbesondere auf Energie- und Stoffkreisläufe. Mit Skulpturen und raumgreifenden Installationen wie der im Frankfurter Kunstverein gezeigten Arbeit "Plant Oil Circulation – After Hans Haacke 1969" (2007) lenkt er den Blick auf Problemfelder, die sich durch Wachstumsprozesse ergeben und als Anleitung zur Ressourcenschonung verstanden werden können.

Über die Metapher des Wachstums
27. Mai bis 31. Juli 2011