Tourismus in Zeiten vieler Krisen neu denken

Mit der Ausstellung "Über Tourismus" richtet das Architekturzentrum Wien den Fokus auf jene gesellschaftlichen Fragen und Krisen, mit denen das Bauen und Planen untrennbar verbunden ist.

Immer mehr Menschen reisen öfter, weiter und kürzer. Welche Auswirkungen haben unsere Urlaubswünsche auf die gebaute Umwelt, das soziale Gefüge und den Klimawandel? Und wie können wir einen Tourismus imaginieren, der nicht zerstört, wovon er lebt?

Seit Jahrzehnten erfährt der Tourismus eine kontinuierliche Intensivierung und ist zu einem integralen Bestandteil unseres westlichen Lebensstils geworden. Er hat Wertschöpfung, Wohlstand und Weltoffenheit auch in die entlegensten Gegenden gebracht und so Abwanderung verhindert. Er fördert das kulturelle Angebot und im besten Fall auch Toleranz und Bildung. Das ist die Sonnenseite des Tourismus. Auf der Schattenseite stehen negative Effekte wie Menschenmassen, grobe Umwelteingriffe und steigende Bodenpreise.

Touristische Hotspots leiden unter dem Ansturm der Besucher:innen, während andere Orte abgehängt werden. Gemeinden sind zwiegespalten: Einerseits profitieren sie vom Tourismus, andererseits nehmen sie immer stärker unerwünschte Nebenwirkungen wahr. Und bedenkt man, dass der Tourismus mehr als andere Wirtschaftssektoren vom Klima abhängt, ist es erstaunlich, dass der Klimawandel ausgerechnet hier oft noch ein Randthema ist.

Wie können wir Tourismus in Zeiten von Klimakrise, Kriegen, drohenden weiteren Pandemien, Fachkräftemangel und einer anhaltenden Energiekrise neu denken und in nachhaltigere Bahnen lenken? Welche Rolle spielen dabei Raumplanung und Architektur? Die Ausstellung im AzW beleuchtet zentrale Aspekte des Tourismus wie Mobilität, Städtetourismus, Wechselwirkungen mit der Landwirtschaft, Klimawandel, die Privatisierung von Naturschönheit bis zum Wandel der Beherbergungstypologien und geht der Frage nach, ob und wie Tourismusentwicklung geplant wird. Anhand von anschaulichen Illustrationen, Beispielen und Datenmaterial werden Phänomene thematisiert wie Kurzzeitvermietungsplattformen, "Kalte Betten", der Vermögensaufbau durch Ferienimmobilien oder die sinkende "Tourismusgesinnung" bei der Bevölkerung aufgrund der ausufernden Wohn- und Lebenshaltungskosten. Vor allem aber sucht die Ausstellung nach Transformationspotential. Viele Reisende sehen sich selbst ungern als Teil des Phänomens Massentourismus, und Zweifel an der Klimaverträglichkeit unseres Reiseverhaltens werden immer lauter.

Eine Vielzahl von Initiativen sind in letzter Zeit entstanden, die einen anderen Umgang mit der Natur, der lokalen Bevölkerung, dem Klima, Städten und Dörfern oder der Mobilität pflegen. Die Ausstellung präsentiert anhand lokaler und internationaler Projekte wegweisende Lösungsansätze. Planungskonzepte unterschiedlicher Länder laden zu einem strategischen Vergleich. Zahlreiche gelungene Beispiele machen Lust auf eine Art des Urlaubens, die nicht mehr ausschließlich dem Konsum und dem Wachstumsparadigma folgt. Im Zentrum bleibt die Frage: Wie können wir einen Tourismus imaginieren, der nicht zerstört, wovon er lebt?

Analysen, Szenarien und alternative Strategien in acht Kapiteln

Kapitel 1: "Öfter, weiter, kürzer" beschäftigt sich einerseits mit dem Trend, dass wir immer öfter und dafür kürzer verreisen, und andererseits mit dem Umstand, dass es vor allem die An- und Abreise ist, die den Anteil des Tourismus an den CO2-Emissionen am stärksten in die Höhe treibt, und geht dabei auf besonders umweltschädliche Mobilitätsformen näher ein.

Alternative Strategien:

  • Alpine Perlen der sanften Tourismusmobilität. Urlaub in den Alpen ohne Auto
  • Ein schlechter Anfang ist besser als ein schlechtes Ende: Flugverbote am Beispiel Frankreich
  • Fernreisen mit dem Rad?
  • Train + Travelling = Traivelling

    Kapitel 2: "Teile deine Stadt" befasst sich mit dem Begriff "Übertourismus" und den Auswirkungen von zu starker Konzentration des Tourismus auf einzelne Städte. Im Zentrum steht das Phänomen der plattformgestützten touristischen Kurzzeitvermietung, das in Städten mit starker Tourismuskonzentration und schwachen gesetzlichen Regelungen zur Dysfunktionalität des Immobilienmarktes beigetragen hat.

    Alternative Strategien:
  • Ein Haus zum Leben. Lissabons Referendum gegen Kurzzeitvermietungen
  • Be more than a Visitor, Become a Changemaker! The Untourist Movement
  • UNES-CO. United Nations Real Life Organization
  • Say HI to the world! Die Jugendherberge neu entdecken

    Kapitel 3: "Zimmer frei" spielt auf eine eher neuere Dynamik an: die Abwanderung der lokalen Bevölkerung aus boomenden ländlichen Tourismusorten. Die Analyse von vier österreichischen Dörfern zeigt die Auswirkungen von zu viel oder zu wenig Tourismus – und dass es keine Patentlösung gibt.

    Alternative Strategien:
  • Liegt die Zukunft des Tourismus in der Kopie? Die Höhle von Lascaux
  • Aus mit Ausverkauf! Das Schweizer Bundesgesetz über Zweitwohnungen
  • Eine Gemeinde sagt „Nein“! Weißensee in Kärnten
  • Willkommen! Open School for Village Hosts
  • Pinzgauer Stub’n. Leistbares Wohnen für Leogang

    Kapitel 4: "Der Elefant im Raum" im Zusammenhang mit dem Tourismus ist eindeutig der Klimawandel. Um sich Tourismus unter klimatisch veränderten Bedingungen im Jahr 2100 vorstellen zu können, bieten vier Szenarien eine Visualisierung der Folgen für verschiedene touristisch geprägte Orte in Europa – ausgehend von Erkenntnissen der Klimaforschung und mit ein wenig Satire gewürzt.

    Alternative Strategien:
  • Muss nur noch kurz die Welt retten: Ecosystem Restoration Communities
  • Es gehört uns und wir wollen es grün! Was hat eine Bürgerrechtsbewegung der 1970er-Jahre mit dem Tourismus zu tun?
  • Après-Ski. Der Urlaub geht weiter
  • Wachsen mit dem Meer: Trilateraler Küstenschutz im Wattenmeer der Nordsee

    Kapitel 5: Bei "Von Kühen, Wölfen und Touristen" dreht sich alles um das Verhältnis zwischen Tourismus und Landwirtschaft. Während die Freizeitwirtschaft mit der idyllischen Welt der Berge und Almen wirbt, sperren täglich landwirtschaftliche Betriebe zu, die allerdings für den Erhalt dieser Kulturlandschaften unbedingt gebraucht werden.

    Alternative Strategien:
  • Urlaub vom „Bullshit-Job“: Schule der Alm
  • Landschaftspflegefonds als letzter Ausweg?
  • Vor der Wertschöpfung kommt die Wertschätzung: die Gampe Thaya in Sölden
  • Not macht erfinderisch. Die KäseStrasse Bregenzerwald

    Kapitel 6: "Der Gast will das!" geht den wachsenden Ansprüchen der Gäste an Beherbergungsbetriebe nach – und dem scheinbaren Zwang, diesen gerecht zu werden. Fünf Geschichten österreichischer Hotelbauten, die zwischen den 1910er- und 1970er-Jahren errichtet wurden, berichten von der Rolle guter Architektur und einem Fortbestand, der auch ohne große Wachstumsschübe ausgekommen ist.

    Alternative Strategien:
  • magdas Hotel Vienna City: Österreichs erstes Social Business Hotel
  • Ferien im Baudenkmal
  • VinziRast am Land. Von High Society zu Society
  • Machtlos gegen die Tourismus-Gentrifizierung: Largo Residências in Lissabon
  • Wenn das Hotel mit dem Dorf verschwimmt: Alberghi Diffusi

    Kapitel 7: In "Privatisierung der Schönheit" wird der Eroberung der Natur durch den Menschen nachgespürt, die zu einem Run auf die schönsten Flecken der Erde und auf diverse Anlagemodelle in Betongold führt. Seitdem die meisten Badeseen restlos verbaut sind, richten sich die Begehrlichkeiten auf die Bergregionen.

    Alternative Strategien:
  • Bodensee für Alle
  • Komm zu uns, hier gibt es nichts! Die Bergsteigerdörfer der Alpenvereine
  • Viele Mosaiksteine ergeben ein großes Ganzes: Dorferneuerung à la Lunz am See
  • Was, wenn der Übertourismus erst mal da ist? Besucher:innenlenkung in Dürnstein
  • Kampf um den Strand. Die Handtuchbewegung in Griechenland

    Kapitel 8: "Geplant oder passiert?" stellt die Frage, inwiefern touristische Entwicklungen von partikulären Dynamiken getrieben werden oder geplante Prozesse darstellen, die von staatlicher oder regionaler Ebene gelenkt werden. Um die Bandbreite der Ansätze zu verdeutlichen, werden Strategien und Systematik von Österreich, Südtirol, Frankreich, Bhutan und Ecuador vorgestellt.

Über Tourismus
Kuratorinnen: Karoline Mayer und Katharina Ritter
21. März bis 9. September 2024, Ausstellungshalle 2
Eröffnung: Mi 20.03.2024, 19:00