Tokio im Kirschblütenrausch

Le Corbusier hatte mich in den Ueno-Park gelockt, das Nationalmuseum für westliche Kunst plante der Meister der Moderne als Prototyp eines "unbegrenzt wachsenden Museums". Dass meine Reise nach Tokio haargenau mit dem berauschenden "Cherry Blossom" – 桜 sakura – zusammenfallen würde, war ein reiner Glücksfall, das könnte frau so nicht planen.

Etwas unbedarft machte ich mich zuerst auf die Suche nach der Tempelanlage, kam aber vor lauter Staunen nicht voran, es schienen jählings – unmittelbar in dieser Stunde – die Kirschblüten aufzuspringen. Freudige Aufgeregtheit überall! Die Leute begannen eilig mit Abdeckplanen ihre Inseln für das abendliche Hanami – 花見, Blüten betrachten – zu reservieren. Nach Feierabend kamen sie: Die Herrenrunde im Anzug ließ sich zu exklusivem Catering nieder, andere sogar an niedrigen Tischchen, gleich daneben die Jungen mit ihren Bierdosen oder die Bescheideneren, die ihre Speisen aus den Plastiksackerln zogen und Sake aus Bechern tranken, alle wiederum in Socken, die Schuhe reihten sie artig am Rand der jeweiligen Zone auf.

Bis zum Museum drang ich erst am nächsten Tag vor. Großzügig inszeniert schwebt der Betonkubus auf Säulen im sechs mal sechs Meter Raster des quadratischen Grundrisses. Den Fassadenrhythmus bricht je ein großes gerahmtes Fenster an zwei Seiten auf, über Balkon und Freitreppe wird Bezug zum Außenraum geschaffen. Spiralförmig entwickeln sich die Ausstellungsebenen in die Höhe, gegenläufige Rampen, auskragende und eingeschnittene Galerien, freistehende Säulen, auf denen die Oberlichten-Konstruktion aufliegt, lassen die Kunst subtil in diffizilen Raumsequenzen erleben.

An diesem Abend regnete es im Ueno-Park. Trotzdem – wenn auch nicht so flächendeckend – wurden die Plätze markiert, die Feste gehörten gefeiert, wie sie fallen. Vergänglich ist das Wunder der japanischen Kirsche, im Moment vollendeter Schönheit fällt die Blüte ab.