Tamuna Sirbiladze - Nicht cool, aber zwingend

In den rund dreißig Jahren ihrer Karriere befragt Tamuna Sirbiladze (1971–2016) so kompromisslos wie beständig die Möglichkeiten von Malerei. Acht Jahre nach ihrem Tod präsentiert das Belvedere die erste umfassende Retrospektive der georgisch-österreichischen Künstlerin, die das gesamte Spektrum ihres künstlerischen Schaffens von Malerei über Zeichnung bis hin zur Installation abbildet.

Von ihren Anfängen an der Akademie der bildenden Künste in Tiflis bis zu ihren letzten Lebensjahren in Wien vollzieht Tamuna Sirbiladze eine bemerkenswerte malerische Entwicklung, die durch ihren frühen Tod im Alter von 45 Jahren jäh beendet wird. Zu einem Zeitpunkt, der tragischerweise auch den Höhepunkt ihrer künstlerischen Schaffenskraft und zugleich ihren internationalen Durchbruch markiert.

Zunächst hauptsächlich figurativ, löst sich Sirbiladzes Bildsprache immer mehr von der gegenständlichen Darstellung in Richtung Abstraktion, um sich zu Beginn der 2000er Jahre – unter anderen Vorzeichen – erneut der Figuration zuzuwenden. Obwohl Sirbiladze konsequent auf das Vorführen ihrer malerischen Virtuosität verzichtet, weswegen sie häufig als Vertreterin des Bad Painting bezeichnet wird, fehlt es ihren brisanten Gemälden nicht an Schönheit und Strahlkraft.

Der menschliche Körper, Sexualität und Verletzlichkeit sind wiederkehrende Themen, die auch in Form einer Selbstbetrachtung (und -befragung) in Sirbiladzes Malerei einfließen. Zugleich ist ihr Werk von einer intensiven Auseinandersetzung mit der klassischen Kunstgeschichte geprägt. In mehreren Serien interpretiert sie ikonische Werke neu und führt mit ungeschönten Darstellungen weiblicher Körper andere Frauenbilder in die Kunst ein.

"Not Cool but Compelling" präsentiert rund 100 Arbeiten aus allen Werkphasen Tamuna Sirbiladzes, darunter zentrale Gemälde, späte Zeichnungen und eine große Installation, die in Zusammenarbeit mit dem Ehemann der Künstlerin, Franz West, entstanden ist. Die Schau im Belvedere 21 bildet in fünf Kapiteln das Gesamtwerk der Künstlerin chronologisch ab und folgt den roten Fäden, die sich durch ihr Schaffen ziehen.

Am Anfang stehen zehn kleinformatige Gemälde, die sowohl Sirbiladzes intensive Beschäftigung mit der Kunstgeschichte als auch ihr akribisches Studium von Malereistilen während ihrer Ausbildung in Tiflis dokumentieren. Die zunehmende Abkehr von der akademischen Malereischule der Sowjetunion ist kennzeichnend für ihre Entwicklung in den frühen Wiener Jahren ab 1997. Eine darauf folgende malerische Krise führt zu einer Phase des abstrakten Experiments und einer intensiven Beschäftigung mit der Bilderwelt des Internets. Hier bedient sich Sirbiladze einzelner Details und Motive aus digitalen Bildern, um sie literarisch oder malerisch zu verarbeiten.

Mitte der 2000er-Jahre wendet sich Sirbiladze erneut der figurativen Malerei zu, die sie mit dünn aufgetragener Acrylfarbe und gestischem Pinselstrich auf großformatigen Leinwänden umsetzt. Die Künstlerin widmet sich in dieser Schlüsselphase ihres Werks weiblicher Körperlichkeit, die frei von Implikationen männlicher Prägung ist. Arbeiten wie "Kotzen" (2005), "My Rapist" (2006) und "Suicide Painting" (2007) zeigen Frauen in höchst intimen und drastischen Situationen. Zeitgleich entsteht eine Reihe von enigmatischen Maskenbildern, die in malerischer Hinsicht nochmals deutlich reduzierter ausfallen und durch ihre Durchnummerierung beinahe Studiencharakter aufweisen.

Frühe Kollaborationen mit Franz West wie die Rauminstallation "Moonlight" (1998–2001) zeigen Sirbiladze als Malerin, die nicht mehr in althergebrachten Gattungsbegriffen und Präsentationsformen denkt, sondern Malerei und Skulptur miteinander verschmelzen lässt. Ihre Ehe und die künstlerische Zusammenarbeit mit West empfindet sie als einen fruchtbaren und produktiven Austausch zweier Künstler:innen auf Augenhöhe.

Mit ganz eigenen künstlerischen Mitteln sowie mit Reverenzen an Künstlerpersönlichkeiten wie Vincent van Gogh, Henri Matisse oder Martin Kippenberger reagiert Sirbiladze auf die Malereigeschichte. Ende der 2000er-Jahre entstehen so mehrere lose Werkkomplexe, die unterschiedliche Stilepochen aufgreifen. Nach dem Tod von Franz West 2012 setzt sie sich mit ikonischen Werken alter Meister auseinander, und intensiviert in den Folgejahren ihre Beschäftigung mit der jüngeren Kunstgeschichte, insbesondere mit Andy Warhol und seinen Flowers.

Sirbiladzes letzte Lebensjahre sind von einem starken Schaffensdrang gekennzeichnet, der sich in großformatigen Ölstiftzeichnungen ausdrückt. Die Sujets dieser auf nicht grundierter Leinwand und mit zeichnerischer Finesse ausgeführten Arbeiten scheinen eine Art Quintessenz ihres künstlerischen Lebens abzubilden: Immer wieder greift Sirbiladze das Motiv des Granatapfels, Nationalfrucht Georgiens und Symbol der Fruchtbarkeit im christlich-orthodoxen Glauben, auf. Neben kunsttheoretischen und kulturellen Referenzen sind es höchst persönliche Bezüge, etwa auf Zeichnungen ihrer Kinder Emily und Lazare, die das eindrucksvolle und berührende Spätwerk der Künstlerin auszeichnen.

Tamuna Sirbiladze wird am 12. Februar 1971 in Tiflis geboren, wo sie von 1989 bis 1994 an der Staatlichen Kunstakademie ein Malereistudium absolviert. 1997 zieht sie nach Wien. Ihre künstlerische Ausbildung setzt Sirbiladze bis 2003 an der Akademie der bildenden Künste Wien bei Franz Graf und an der Slade School of Fine Art in London fort. Während ihres Studiums in Wien lernt sie den österreichischen Künstler Franz West (1947–2012) kennen, den sie 2002 heiratet und mit dem sie bis zu seinem Tod 2012 an mehreren Kunstprojekten zusammenarbeitet. Ab 2003 stellt Sirbiladze in nationalen und internationalen Einzel- und Gruppenausstellungen aus, u. a. in den Deichtorhallen, Hamburg, in der Saatchi Gallery, London, in der Galerie Almine Rech, Brüssel, und in der Charim Galerie, Wien. Am 2. März 2016 stirbt die Künstlerin im Alter von 45 Jahren.

Tamuna Sirbiladze
Not cool but compelling
Bis 11. August 2024