The Tall T - Um Kopf und Kragen

29. November 2018 Walter Gasperi
Bildteil

Auf einer abgelegenen Postkutschenstation geraten ein Ehepaar und ein wortkarger Farmer in die Hände von drei Banditen. Ein Entkommen scheint unmöglich. – Budd Boettichers meisterhafter minimalistischer Western ist bei Koch Media in der Edition Western Legenden auf DVD und Blu-ray erschienen.

Sieben Meisterwerke des Western schuf Budd Boetticher zwischen 1956 und 1960 mit dem sogenannten Ranown-Zyklus. Zum Verwechseln ähnlich sind teilweise die Plots und die Charaktere, Bindeglied sind auch der Hauptdarsteller Randolph Scott und die felsige Wüstenlandschaft um das kalifornische Lone Pine.

Durch diese Felslandschaft nähert sich in der ersten Einstellung auch in "The Tall T" aus dem Bildhintergrund ein Reiter. Wenn der Vorspann zu Ende ist, sitzt Randolph Scott als Farmer Pat Brennan auf seinem Pferd im Bildvordergrund. Mit einem Schnitt übernimmt der Zuschauer dessen Blickrichtung und sieht, wie er sich einem in der kargen Landschaft gelegenen Haus nähert.

Ein weiterer Schnitt vermittelt die Perspektive der Bewohner dieser Postkutschenstation: Der Mann greift zum Gewehr, denn in dieser Gegend muss man stets auf alles vorbereitet sein, sein etwa zehnjähriger Sohn erkennt aber den Reiter und rennt auf ihn zu. - Meisterhaft ist dieser Einstieg in seiner Prägnanz und Klarheit.

Kurz erfährt man, dass Brennan unterwegs in die Stadt ist, um einen Zuchtbullen für seine neue Farm zu kaufen. In der Stadt wird er nicht nur auf den Fahrer der Postkutsche treffen, sondern auch auf ein Hochzeitspaar, das die Kutsche für diesen Tag gemietet hat, sowie auf einer Ranch auf seinen früheren Boss.

Überraschend komödiantische Züge schlägt Boetticher in den Szenen in der Stadt und auch auf der Ranch an, wenn Brennan dort einen Bullen zureiten will. Gleichzeitig kann hier der 2001 verstorbene Regisseur aber auch indirekt seiner Leidenschaft für den Stierkampf frönen, über den er drei Filme gedreht hat.

Wie ein leichthändiges Geplänkel wirkt dieser Beginn, nicht klar ist, in welche Richtung sich "The Tall T" entwickeln wird, bis Brennan nach Verlust seines Pferdes bei einer Wette von der Postkutsche mit dem jungen Ehepaar in der Einöde aufgelesen wird und sie bei der schon bekannten Station auf drei Banditen treffen.

Jetzt macht auch die Vorstellung von Postmeister und Sohn am Beginn Sinn, denn man hat einen Bezug zu diesen Figuren, die von den Banditen inzwischen getötet wurden. Mit diesen drei Banditen und den drei Geiseln – der Kutscher wird sofort erschossen – kommt Boetticher die folgenden rund 60 Minuten aus.

Wie auf einer Bühne entwickelt sich zunächst bei der Postkutschenstation, dann nach einem kurzen Ritt beim Versteck der Banditen ein Kammerspiel in offener Landschaft, in dem sich die Figuren gegenseitig abklopfen, Schwachpunkte suchen. Die Extremsituation legt den wahren Charakter bloß. Bei den Banditen steht zwei schießwütigen jungen Männern ihr erfahrener und besonnener Anführer gegenüber, bei den Geiseln dem geschwätzigen Ehemann, der die Frau nur geheiratet, um an das Geld ihres Vaters, eines Minenbesitzers zu kommen, der wortkarge Brennan.

Während die Feigheit und der Egoismus des Ehemanns, der seine frisch angetraute Frau bald bedenkenlos im Stich lässt, offen zutage tritt, hält sich Brennan zurück, beobachtet mehr als zu agieren, versucht nichts von sich und seinen Fähigkeiten preiszugeben.

Er ist der klassische Boetticher-Held: ein Individualist, der deshalb auch seinen Job als Verwalter einer Ranch aufgegeben und sich selbstständig gemacht hat. Immer auf sich gestellt, muss er besonnen agieren, um zu überleben. Abwarten ist seine Devise, doch dass er schließlich zur Tat schreiten muss, ist unerlässlich. Nur in der Tat beweist sich bei Boetticher der Mensch.

Nicht aus der Verantwortung kann sich hier auch der Anführer der Banditen ziehen, denn als er erklärt, dass seine jungen Komplizen aufgrund ihrer Sozialisation so werden mussten, wirft Brennan ihm vor, dass er eben etwas dagegen tun hätte müssen. Und die Frau, die in Selbstmitleid versinkt, weil sie nie geliebt wurde, fordert er auf, sich zunächst einmal selbst zu achten und zu lieben.

Wunderbar schlackenlos und nüchtern entwickelt Boetticher diese Konfrontationen, perfekt korrespondiert diese Form mit dem Stoizismus seines Helden, macht auch durch die aufs Wesentliche reduzierte Inszenierung bewusst, dass gewisse Dinge getan werden müssen.

Brennan wird schließlich beginnen geschickt Misstrauen unter den Banditen zu säen und sie gegeneinander auszuspielen. Wie er am Anfang ins Bild trat, so wird er nach 77 Minuten aus dem Bild treten – ungewöhnlich freilich für einen Western von Boetticher mit der Frau an seiner Seite, offen bleibt aber, ob das wirklich ein Happy End ist.

Was der Titel bedeutet, war im Übrigen auch Boetticher selbst nicht klar. Erfunden wurde dieser vom Studio, da eine andere Gesellschaft die Rechte am Titel der zugrunde liegenden Erzählung "The Captives" hatte.

An Sprachversionen bieten die bei Koch Media als 58. Titel der Edition Western Legenden erschienene DVD und Blu-ray die englische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie deutsche Untertitel. Die Extras umfassen neben einem – nur englischen – Audiokommentar der Filmhistorikerin Jeanine Basinger auch ein dem Film unterlegtes – ebenfalls nur englisches - Interview des "Guardian" mit Elmore Leonard, dem Autor der Vorlage, sowie einen etwa siebenminütigen, deutsch untertitelten Kommentar von Martin Scorsese zu "The Tall T" und Boettichers Westerns insgesamt. Dazu kommen wie gewohnt der Trailer und eine Bildergalerie sowie ein Booklet.

Trailer zu "The Tall T - Um Kopf und Kragen"