Song Dong in der Kunsthalle Düsseldorf

Die Kunsthalle Düsseldorf widmet dem renommierten, chinesischen Künstler Song Dong (* 1966 in Peking, lebt und arbeitet dort) eine große Einzelausstellung. In Zusammenarbeit mit dem Groninger Museum wird eine Retrospektive zu seinem bisherigen künstlerischen Schaffen gezeigt. In seiner künstlerischen Praxis verbindet Song Dong verschiedene Medien wie Fotografie, Video, Installation und Performance und prägt seit Mitte der 1990er Jahre entscheidend die zeitgenössische Konzeptkunst in China mit.

Basierend auf biografischen Erlebnissen thematisiert der Künstler, wie sich kulturelle und geschichtliche Ereignisse sowie wirtschaftliche und politische Umstände konstitutiv auf das individuelle Leben auswirken. Seine Werke zeichnen sich durch eine ausdrucksstarke Bildsprache aus, die auf feinsinnige Weise oftmals diffizile Lebenssituationen konkret beschreibt. Indem Song stets einen persönlichen Zugang wählt, bietet er den Betrachterinnen und Betrachtern die Möglichkeit, die Realität der dargestellten Personen nachzuempfinden. Nicht zuletzt wird diese Identifikation mit problematischen Umständen kultureller, emotionaler oder ökonomischer Natur durch einen Impuls zur Veränderung getragen.

2005 erstmalig in Peking, später unter anderem auch im Museum of Modern Arts (New York) präsentiert, stellt "Waste Not" das Hauptwerk von Song Dong dar. Diese Installation besteht aus einem Holzhaus und über 10.000 Haushaltsobjekten seines Elternhauses. Als Zeitgenossen der armutsreichen 50er und 60er Jahre gehörten seine Eltern zu der Generation, die darauf angewiesen war mit Wenig auszukommen. Das Sammeln und Aufbewahren von vermeintlichem Müll wie überflüssigen Gegenständen (zum Beispiel Eimer) oder Resten (wie Seifenbrocken) war aufgrund der kritischen wirtschaftlich-politischen Situation – hervorgerufen durch die kommunistische Herrschaft Chinas und die "Kulturrevolution" – eine Notwendigkeit.

Nach dem Tod ihres Mannes im Jahre 2002 wandelte sich für S0ngs Mutter diese ökonomische Überlebensstrategie in eine seelische. Das Horten von Dingen entwickelte sich zu einer obsessiven Praxis, welche durch das Füllen der Leere innerhalb ihres kleinen Hauses den Verlustschmerz und die Einsamkeit verdrängen sollte. Für die Realisierung von "Waste Not" bezog Song aktiv seine Mutter und weitere Familienmitglieder ein und setzte damit einen Prozess der Trauerbewältigung in Gang. Die Katalogisierung und Ordnung der Objekte erforderte eine Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit und bot Anlass zu zahlreichen Gesprächen und Geschichtenerzählungen zwischen Mutter und Sohn. Installiert, lädt "Waste Not" das Publikum ein, über die Objekte die kulturelle Geschichte mittels einer sehr privaten Einsicht in das Leben von Song Dongs Eltern zu erkunden. Die akribisch nach Art und Farbe sortierten Gegenstände überwältigen in ihrer Fülle, ohne dass die Relevanz der einzelnen Dinge verloren geht.

Einen wichtigen Stellenwert innerhalb seines bisherigen künstlerischen Schaffens stellt die Arbeit "Writing diary with water" dar, die Song Dong seit 1995 kontinuierlich fortführt. Dabei handelt es sich um vom Künstler täglich erstellte Tagebucheinträge, die er mit einem Kalligrafiepinsel mit Wasser auf Stein aufträgt, sodass keine Spuren hinterlassen werden und die Schrift bereits im Prozess des Aufragens verschwindet. Schon als Kind war Song Dong von seinem Vater dazu bestärkt worden, Kalligrafie mit Wasser auf Stein zu üben, da so wertvolle Tinte und Papier gespart werden konnten.

Auf die Vergänglichkeit des Lebens selbst verweisend, wandelt Song die spielerische Qualität dieser Erfahrung in eine künstlerische Performance um, die der Niederschrift des Tagebucheintrags eine besondere Intimität verleiht und sie vor anderen unzugänglich macht. Unter diesem Schutz der Unsichtbarkeit der Tagebucheinträge eröffnet sich für den Künstler die Möglichkeit einer zensurfreien Mitteilung an sich selbst. Gleichzeitig ist diese Arbeit auch als Reaktion auf die schwierige Lage der Künstler in China in den1970-1990er Jahren zu betrachten, die aufgrund von gesetzlichen Restriktionen sowie einem generellen Mangel an Material und Ausstellungsräumen zur Produktion und Präsentation ihrer Werke in private Räume ausgewichen sind. Die aus diesen spezifischen Umständen entstandene künstlerische Praxis hat der chinesische Kurator Gao Minglu zusammenfassend als "Apartment Art" bezeichnet – eine Bewegung, die sich durch ephemere, subtile und kleinformatige, meist konzeptionelle Arbeiten sowie eine relativ kleine Zuschauerschaft auszeichnet. Die privaten Wohnräume wurden so zu einem Biotop für eine vitale Kunstszene, die eine Zuflucht vor politischen Einschränkungen sowie eine Alternative zur schnelllebigen, marktorientierten Kunstproduktion bot.

Als "beautiful poison" (schönes Gift) bezeichnet Song Dong die Süßigkeiten, die ihm als Bausubstanz für modellhafte Nachbauten von Großstädten wie beispielsweise Peking, Shanghai oder Hong Kong für die Installation "Eating the City" dienen. Indem der Künstler diese verführerischen Stadtentwürfe dem Publikum zum Verzehr freigibt, thematisiert er den rasanten Wachstum von Großstädten, die zur Folge haben, dass lokale Strukturen abgelöst werden und die neu entstandenen Transitorte einander immer mehr gleichen. Dabei wählt Song stets den jeweiligen Ausstellungsort als Vorlage für Eating the City und konfrontiert so die jeweilige Einwohnerschaft der Stadt mit ihrem Wandel.

Das Vergängliche, eine sich transformierende Gegenständlichkeit und Gesten als Mittel zur künstlerischen Artikulation bilden wichtige Charakteristika innerhalb Songs Schaffen und markieren darüber hinaus seine von Zen geprägte Herangehensweise. Als eine im 6. Jahrhundert in China entstandene und vom Daoismus beeinflusste Ausrichtung des Buddhismus stellt Zen eine Lebensweise in den Vordergrund, in der das einzelne Individuum nur im harmonischen Zusammensein mit seiner Umwelt einen Zustand von Frieden erfahren kann. Dabei handelt es sich um eine Lehre, die weder Dogmen noch ein bestimmtes Ziel in Aussicht stellt, sondern den Fokus auf gegenwärtige Erfahrungen und achtsame Handlungen legt. Song nimmt explizit auf die Zen-Philosophie Bezug mit seiner für die Dokumenta 13 entwickelten Arbeit "Doing Nothing Garden": eine Entropie in Form von etwa sechs Meter hohen Hügeln aus Bauschutt und organischem Abfall, vollkommen bedeckt mit Gras und Blumen. Versehen ist der Garten mit gelben, chinesischen Neonschriftzeichen, die einen nicht zu übersetzenden Satz über den Akt des Nichtstunes verkünden. Statt eine vermeintliche Passivität anzuprangern, verhandelt Song die Dialektik zwischen Handeln und Nicht-Handeln. Er fragt damit welchen Wert wir unseren Tätigkeiten beimessen und was wir überhaupt als solche anerkennen.


Song Dong
6. Dezember 2015 bis 12. März 2016