Schweizer Medienkunst – Pax Art Awards 2023

Die Ausstellung "Ubermorgen, Johanna Müller & Giulia Essyad. Schweizer Medienkunst – Pax Art Awards 2023" bietet eine Auswahl von Werken der preisgekrönten Künstler:innen in drei parallel laufenden Einzelausstellungen. Den Hauptpreis der Pax Art Awards 2023 erhielt das Künstlerduo "Ubermorgen", das seit den 1990er Jahren Pionierarbeit im Bereich der Netzkunst leistet und bis heute mit konzeptuellen bis aktivistischen aber immer gesellschafts- und systemkritischen Werken überzeugt. Mit einer Förderung ausgezeichnet wurden auch Johanna Müller und Giulia Essyad, die beide in ihrer künstlerischen Arbeit die Funktionsweisen des Plattformkapitalismus im Internet erforschen: Von der algorithmischen Steuerung von Content über Selbstdarstellung auf sozialen Plattformen bis hin zu den Tiefen der Internet-Subkultur – beide dringen in ihren Arbeiten in die hintersten Ecken des Webs vor und bringen dessen Phänomene in den Ausstellungsraum.

Das Duo "Ubermorgen" erweitert seit den 1990er-Jahren das Feld der Netzkunst und lotet die Möglichkeiten des Internets immer wieder aufs Neue aus. Mit ihren Arbeiten reflektieren "Ubermorgen" die Logik des Internets als Marktplatz und Vernetzungsmaschine und intervenieren in politische und gesellschaftliche Diskurse. Schon früh erkannte die Künstlergruppe, dass das Internet ein vielversprechendes Medium für die Kunst ist. Mit ihren ersten Projekten wie "Vote-Auction" (2000) brachten sie politische Themen ins Netz und machen damit nicht nur auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam, sondern schaffen spekulativen Raum für politische Aktionen. Diese historisch wichtige Arbeit wurde von der Art Foundation Pax angekauft und wird auch in der Ausstellung gezeigt. Das Duo nutzt Branding und Marketing-Strategien besonders geschickt, um ihren antiautoritären Anspruch zu kommunizieren und medienwirksam Aufmerksamkeit zu generieren. Insbesondere Themen wie geistiges Eigentum, Originalität und künstliche Verknappung haben in den vergangenen Jahren aufgrund des Hypes um NFTs erneut an Bedeutung gewonnen und zeigen wie wichtig es ist, dass "Ubermorgen" und weitere Künstler:innen ihrer Generation zu einem fundierten kritischen Diskurs beigetragen haben. Als Reaktion auf den NFT-Hype, kreierte das Duo einer der ersten PFPs (Picture for Profile) auf Tezos. Diese Profilbilder werden in den Sozialen Medien benutzt und als Status- und Zugehörigkeitssymbol einer bestimmten Gruppe verwendet. Die als PFPs generierten "D1cks" (2021) von "Ubermorgen" beziehen sich mit ihrer farbigen Pixelästhetik direkt auf die CryptoPunks des Künstlerkollektivs Larva Labs – das bisher erste und nach wie vor erfolgreichste PFP – und thematisieren die männerdominierte Bro-Kultur der Krypto Szene und die Problematiken, die damit einhergehen.

Für die Ausstellung zeigt "Ubermorgen" unter anderem auch die neue Arbeit "Happy Distopia", die mit der Erkenntnis spielt, dass die komplexen Probleme dieser Welt nicht alle auf einmal und einige momentan gar nicht lösbar sind. Angelegt als webbasierter Quartalsbericht und in den Floskeln und Schlagworten eines Grossunternehmens, parodiert beispielsweise die Arbeit "PCM Wagner Art" (2023) mit den Mitteln des Culture Jamming kapitalistische Unternehmenskultur.

Die Künstlergruppe "Ubermorgen" bestehen aus Luzius Bernhard aka etoy.HANS, etoy.Brain-Hard, hans_extrem, e01 (1971) und Maria Haas aka lizvlx (1973) wurde 1995 gegründet. Die beiden unterrichteten an der Kunsthochschule für Medien in Köln, an der HfG Offenbach und an der Universität Kassel. 2021 wurden sie für ihre Arbeit "Uninvited" in Zusammenarbeit mit Nye Thompson mit dem "Lumen Gold Award" ausgezeichnet. Seit 2023 hat das Duo den Lehrstuhl Digital Arts and der Universität für angewandte Kunst in Wien inne.

"Ubermorgen" erhielt den mit CHF 30‘000 dotierten Hauptpreis der Pax Art Awards 2023.

Website: http://ubermorgen.com
Instagram: @ubermorgen_com

Johanna Müller bezeichnet sich selbst als Flaneurin des Internets und untersucht, wie wir uns in online Räumen bewegen und verhalten. Dabei versteht sie das Flanieren als aktiven Prozess des Reframings und der Re-kontextualisierung von Inhalten, die sich in ihren Arbeiten in den verschiedensten Medien von Video über installative Objekt-Assemblagen bis zur Performance zeigen. Müllers Arbeiten zeichnen sich durch die Analyse von Phänomenen einer vernetzten, immer komplexer werdenden, aber auch überwachten Kultur der Digitalität aus. Sie widmet sich beispielsweise dem Phänomen des "walled garden", ein kontrolliertes, abgeschlossenes System um User:innen-Verhalten zu kontrollieren, wie zum Beispiel in dem Werk "What If I Was Wrong About What Jesus Looks Like" (2021), oder der Meme-Kultur, wie in der Arbeit "Who the f
* is Karen? (don’t show feelings)" (2022). Die Arbeiten funktionieren als Metapher auf die Funktionsweisen des Internets: sie beschreiben die Wichtigkeit der Orientierungsfähigkeit und der Internet Literacy. Müllers Arbeitsweise ist beispielhafte Post-Internet Art, im Sinne, dass sie nach dem Surfen im Internet aufbaut. Ihre Werke greifen die Ästhetik und charakteristischen Elemente des Web2 auf, wie Pop-Up Fenster, Captcha Tests, die Google-Suche, die unsere "Reise" im Internet leitet, stört, lenkt und ein Zeichen davon sind, wie das Internet in seiner algorithmischen Struktur funktioniert.

In der Ausstellung werden zwei neue Arbeiten präsentiert: "In Invalid Credentials" (2024) ist die Konversation mit einem Chatbot auf einem überdimensionalen Spielteppich festgehalten. Die Hilfeleistung des Bots verläuft ins Leere, die Userin ist in einem Loop der Fehlermeldungen gefangen, ohne Aussicht die Probleme zu lösen. Der Zustand des Verloren-Seins, die Orientierungslosigkeit trotz smarter KI-Assistenten und Chatbots, das "Lost in Translation" mit den Maschinen die uns umgeben sind wiederkehrende Themen in Müllers Arbeiten. So geht es auch in "Lost in Hidden Hills" (2024) um eine erfolglose Suche nach dem Haus der Kardashians in Kalifornien. Der archaische Soundtrack aus Posaunen baut die narrative Spannung auf – auf die Klimax des Findens warten die Besuchenden jedoch vergebens.

Johanna Müller (*1990) schloss ihren Master of Arts in Art Education 2019 an der Züricher Hochschule der Künste (ZHdK) ab. 2021 erhielt sie ein Atelierstipendium in Paris. Für ihre Arbeit "Who the f*** is Karen? (don‘t show feelings)" gewann sie 2022 den Werkbeitrag des Kantons Zürich und 2023 den Förderpreis der Stadt Winterthur. Sie unterrichtet an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Bereich Gesundheit und lebt in Winterthur und Paris.

Johanna Müller erhielt einen der Pax Art Awards 2023 für junge aufstrebende Künstler:innen im Wert von CHF 15‘000.

Webseite: https://johannamueller.net/
Instagram: @joftan_aliasjohannamueller

Giulia Essyad erforscht die Darstellung des menschlichen Körpers in den Medien Video, Fotografie, Skulptur, Poesie und Performance. Ihr eigener Körper dient dabei als Ausgangspunkt für digitale Manipulationen, in denen sie in die Rolle eines Science-Fiction Charakters schlüpft oder sich im Stil eines viralen Trends aus dem Internet inszeniert. Im Zentrum stehen dabei Schönheits-Stereotype und deren Dekonstruktion. Die auf den Körper aufgetragene Farbe Blau als Symbol der Entfremdung und des Andersseins ist ein wiederkehrendes Element in Essyads Werken. In diesem Kosmos dienen die blaue Haut der Avatare in James Camerons Blockbuster Avatar ebenso wie die indische Gottheit Ganesha als Vorbilder. Das blaue Blut, das für den Adel steht, heutzutage aber nur noch als Verlegenheitsgeste in Werbungen für Hygieneprodukte auftaucht, greift Essyad beispielsweise in ihrer Arbeit "Blue Period" (2020) auf. Die Fotografie zeigt die Künstlerin in einer Lache blauer Farbe stehend, die aus ihrem Schritt herunterläuft. Diese Geste ist gleichzeitig parodistische Referenz an den kunstgeschichtlichen Kanon wie die Demaskierung kommerzieller Werbemotive. Das Triptychon "blueberry.inflation.v1.2" (2021) thematisiert das Motiv der "Blueberry Inflation" und referiert auf die Verwandlung in eine Blaubeere, die der Charakter Violet Beauregarde im Film Willy Wonkas Schokoladenfabrik durchmacht. Das Internet machte diese Szene zum viralen Phänomen und brachte weltweite Nachahm-Fetische mit sich. In Essyads Werk kann die Metamorphose als eine Rückeroberung des Körpers gegen die von der Konsumgesellschaft auferlegten Ideale der Perfektion gelesen werden. Es ist ebenso eine Hommage an die Fans, die den opulenten Körper in seinen erotischen und vergnüglichen Aspekten feiern.

Für die Ausstellung schuf Essyad eine neue Arbeit, welche das Aufblasen wörtlich nimmt: eine aufblasbare Frauenfigur, gefüllt mit Ballonen mimt nicht nur die "Blueberry Inflation", sondern eignet sich auch die Idee der Gummipuppe an und ermächtigt sich damit der eigenen Darstellung. Die Lichtboxfotografien in der Form von Kirchenfenstern in Essyads "Under the Pink" (2023) demonstrieren die Auflösung ihres eigenen Körpers in ein virtuelles Flackern: an verschiedenster Stelle wird ihr Körper durchdrungen von einem transparent-schimmernden Dunst einer virtuellen Materialität. Als ein Memento Mori ebenso wie als Projektionsfläche für verschiedenste Fantasien wird der weibliche Körper hier als Symbol zwischen religiöser Ikone und profan alltäglichem Werbebild situiert.

Giulia Essyad (*1992) studierte an der Ecal in Lausanne und an der HEAD in Genf. Essyad wurde 2023 mit dem Swiss Art Awards 2023 ausgezeichnet und erhielt 2021 den Kiefer Hablitzel Preis. 2020 war sie mit der Pro Helvetia Residency in Bengaluru, Indien.

Giulia Essyad erhielt einen der Pax Art Awards 2023 für junge aufstrebende Künstler:innen im Wert von CHF 15‘000.

Webseite: https://reseau-dda.org/fr/artists/giulia-essyad
Instagram: @oth3r.nature

Ubermorgen, Johanna Müller, Giulia Essyad
Schweizer Medienkunst – Pax Art Awards 2023
13. Januar bis 10. März 2024
Kuratorin: Marlene Wenger