Schattenfuge

16. November 2012 admin
Bildteil

Der Klappentext: Ein einziger Raum. Eine einzige Nacht. Ein Mann und eine Frau, die eine Abmachung haben: Sie will schweigend sein Porträt malen, er soll währenddessen von sich erzählen. Er, ein Architekt, der seinen Beruf an den Nagel gehängt hat, beginnt seine Erzählung mit der Schilderung seines Scheiterns. Als sie das nicht mehr aushält, schickt sie ihn fort. Er kommt zurück und beginnt, von seiner Fußwanderung nach Finisterre zu erzählen. Schritt für Schritt hört sie ihm zu, Strich für Strich entsteht das Porträt eines Liebenden, in dem sie sich selbst erkennt.

Meine Gedanken zu diesem Buch: Wie so oft, ist die Gestaltung eines Buchcovers entscheidend dafür, meine erste Aufmerksamkeit zu wecken. Dem Umschlagbild von Gabriele Böschs Roman "Schattenfuge" gelang dies auf Anhieb, denn es stellt zwei Liebende dar, die sich nicht ihre wahren Gesichter offenbaren, sondern sie verhüllen, was sie jedoch nicht davon abhält, sich zärtlich zu küssen. "The Lovers" heißt dieses wunderbare Gemälde des belgischen Surrealisten René Magritte (New York, Museum of Modern Art).

Die Beschreibung des Romans im Klappentext versprach eine kurzweilige, unterhaltsame, 168-Seiten-Abendlektüre. Und genau darin anzunehmen, es handele sich hier um eine Lektüre für einen einzigen Abend, sollte ein großer Irrtum sein, wie sich bereits nach dem Lesen der ersten Seiten herausstellte. Hier wird nicht locker flockig eine außergewöhnliche Liebesgeschichte erzählt. Da der Klappentext sehr ausführlich das komplette Werk beschreibt, wägte ich mich in dem Glauben die Handlung zu kennen. Doch weit gefehlt! Ich liebe es, wenn ein Buch mich überrascht.

Die Sprache Gabriele Böschs, ihre Sichtweise, den Bezug der Gedanken zu einem bestimmten Song, die Analogie der Liebe zur Architektur... jeder einzelne Satz der Schriftstellerin hat Bedeutung, auf kein Wort möchte ich verzichten, keine Zeile nur eben schnell überfliegen. So sehr Gabriele Bösch die Metapher zu lieben scheint, so sehr verabscheut sie wohltuenderweise die Floskel. Sich nach einem Arbeitstag, vollgestopft mit Worthülsen vielredender und nichtssagender Redner, in sein Zuhause zurückzuziehen, und sich auf Böschs Schreibstil einzulassen, kann sehr entspannend sein. Kann, wenn Sie es schaffen, denn einfach herunterlesen lässt sich ihr Roman nicht.

Mehr als einmal ließ ich das Buch sinken um über das eben Gelesene nachzudenken: Ja, sie hat Recht, weshalb kam mir dieser Gedanke bis heute nicht? So etwa faszinierten mich die Gedanken des Architekten, die Fragen, die er den Bauherren stellen möchte: Wie viele Türen sie öffnen möchten, wie sie den Regen hören wollten und das Rauschen der Blätter, ob sie barfuß auf Rillen eines ungebürsteten Parketts oder auf geöltem Riemenboden durch ihr Leben gingen, ob sie das Nordlicht auf Buchseiten kannten... Ich liebe diese Passage (die ich hier sehr gekürzt habe)!

"Schattenfuge" ist kein gewöhnlicher Roman, es ist viel mehr als das. Es ist beinahe wie ein 168 Seiten umfassendes Gedicht. Ein Buch, das man nicht liest um es anschließend im Bücherregal einzureihen, sondern es immer mal wieder, wie einen Lyrikband, nimmt, um darin zu lesen.

Gabriele Bösch stellt Fragen doch beantwortet diese längst nicht alle, denn das ist des Lesers Aufgabe. Was ist Vertrautheit? Etwa nur eine Schönschreibung unserer Vorliebe für Gewohnheiten? Wissen Sie, wie das ist, wenn jemand Ihnen eine Erinnerung unterjubelt? Unterjubeln möchte ich Ihnen die "Schattenfuge" keineswegs, Sie Ihnen indess ausdrücklich empfehlen.

Schattenfuge von Gabriele Bösch
Gebundene Ausgabe: 168 Seiten
Verlag: Limbus Verlag; Auflage: 1., Aufl. (September 2012)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3902534613
ISBN-13: 978-3902534613
17,90 Euro