"Reigen" – Boesmans Musiktheater erstmals an der Oper Stuttgart

Knapp einen Monat vor dem 80. Geburtstag des großen belgischen Komponisten Philippe Boesmans feiert die Neuproduktion seines Musiktheaters "Reigen" nach dem gleichnamigen Schauspiel von Arthur Schnitzler am Sonntag, 24. April 2016, um 18 Uhr Premiere an der Oper Stuttgart. Die Musikalische Leitung hat Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling, der bereits die Uraufführung des Werks im März 1993 im Brüsseler Théâtre de la Monnaie mit Boesmans und Luc Bondy (Libretto/Regie) erarbeitete. Die Stuttgarter Neuinszenierung liegt in den Händen von Nicola Hümpel, die von der Akademie der Künste den diesjährigen Konrad-Wolf-Preis verliehen bekommt. Den Bühnenraum entwickelt Oliver Proske.

Hümpel und Proske gründeten 1998 das Berliner Musiktheaterensemble Nico and the Navigators, das mit bildstarken Inszenierungen von sich reden macht. Die künstlerische Verarbeitung von kuriosen Alltagserfahrungen mit allen Höhen und Tiefen zwischenmenschlicher Begegnungen ist die Spezialität dieses Ensembles und hat ihm Einladungen u.a. zu den Wiener Festwochen, dem Festival Automne en Normandie, dem Moskauer Dom Musiki, den Bregenzer Festspielen, dem Festival Nuits de Fourvière in Lyon und dem koreanischen Uijeongbu International Music Theater Festival sowie an die Pariser Opéra Comique, die Opéra de Dijon, die Opéra de Rouen und das Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg eingebracht. Nico and the Navigators wurden 2011 mit dem George Tabori Preis ausgezeichnet.

Der Reigen, das sind zehn mehr oder weniger erotische Treffen zwischen je einem Mann und einer Frau – wie in einem Kreistanz begegnen sich Dirne und Soldat zum "Zusammensein", dann Soldat und Stubenmädchen, Stubenmädchen und Junger Mann, bis am Ende ein Graf wieder auf die Dirne trifft. Allen sozialen Unterschieden zum Trotz wiederholen sich Motive und Verhaltensweisen in erschreckender Weise: Man ziert sich, man hat es eilig, man macht so etwas eigentlich nicht. Und "danach" hat es plötzlich der andere eilig, wird grob oder entzieht sich mit belanglosen Sätzen. Zum Sex kommt es immer, zur Begegnung nur in Ausnahmefällen.

Schnitzler selbst verhängte ein Aufführungsverbot über seine 1920 geschriebenen "Zehn Dialoge", das bis 1982 gültig war. Die Doppelmoral, die Schnitzlers Szenen zugrunde liegt, erscheint heute überwunden. Aber ist sie das wirklich oder hat sie nur neuen Komplexen, Lebenslügen und Verkrampfungen Platz gemacht? Regisseurin Nicola Hümpel möchte in ihrer Inszenierung den immerwährenden großen Fragen nachspüren, wann durch Nähe Erotik entsteht, und wann durch Sex Nähe; wann Sex Nähe zerstört und wann die Nähe den Sex zerstört. Gleichzeitig zeigt sie die Figuren als Menschen des 21. Jahrhundert.


Weitere Vorstellungen:
29. April | 6. | 10. | 13. | 20. Mai | 3. Juni 2016