Re: Collect

Die Städtische Sammlung Erlangen umfasst weit über 4.500 bedeutende Kunstwerke. In den 1960er Jahren begonnen, spiegelt sie die Vielfalt zeitgenössischer Grafik wider: von raumgreifenden Installationen bis hin zu kleinformatigen Zeichnungen, von Auflagenwerken und Multiples bis hin zu grafischen Unikaten. Unter dem Titel "Re: Collect" wird die Städtische Sammlung zum ersten Mal im Kunstpalais gezeigt.

Für diese Ausstellung werden bedeutende Grafiken des Bestandes zeitgenössischen Kunstwerken gegenübergestellt. Im Zentrum steht die Frage, welche Diskurse aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Gegenwart überführt werden können. Die ausgestellten zeitgenössischen Werke beschränken sich nicht nur auf das Medium der Grafik, sondern umfassen Videoinstallationen, Fotografien und Rauminstallationen.

Als Auftakt der Ausstellung widmen sich Joseph Beuys und Nasan Tur in ihren Werken dem Begriff des Kapitals. Ein Thema, das gerade auch für Kunstsammlungen, die als Wertanlage gelten, von zentraler Bedeutung ist. Im Werk von Beuys bezieht sich das Kapital nicht nur auf wirtschaftliche Aspekte, sondern vor allem auch auf allgemein menschliche Fähigkeiten wie Kreativität. Nasan Tur führt den Begriff hingegen auf seine ökonomische Bedeutung zurück, wenn er das Wort "Kapital" in 800 verschiedenen Schreibweisen mit Tusche auf Papier festhält. Die Verwendung des gleichen Grafikformats und die identische Rahmung werfen Fragen zum Verhältnis von Massenproduktion und individueller künstlerischer Tätigkeit auf.

Neben dem Begriff des Kapitals ist für den politischen Künstler Joseph Beuys die Frage nach der Revolution, nach dem Umsturz bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse von größter Brisanz. Auf dem Lichtdruck "La rivoluzione siamo noi" präsentiert sich der Künstler überlebensgroß dem Betrachter. Sein energiegeladener, nach vorne schreitender Gang ist als Aufforderung zum direkten Handeln zu verstehen. Auch Nasan Tur greift in seiner Fotografie "Time for Revollusion" diese Aufbruchsstimmung auf. Der bekannte Slogan "Time for Revolution", ein Inbegriff für Veränderung, eröffnet jedoch durch den Schreibfehler eine neue Lesart, die politische Parolen persifliert.

Für Marcel Broodthaers ist die Frage nach der Definition des Kunstwerkes untrennbar mit dessen Warenförmigkeit verbunden, da jedes Kunstwerk den gleichen Marktmechanismen unterworfen ist wie ein Gebrauchsgut. Im Diptychon "Museum-Museum" sind dementsprechend Goldbarren mit den Namen berühmter Künstler und einfachen Gebrauchsgegenständen verbunden. Christian Jankowski radikalisiert diesen Ansatz in seiner Videoarbeit "Kunstmarkt TV", in der in einer Fernsehverkaufsshow Kunstwerke als Konsumgüter mit praktischen Vorzügen angepriesen werden.

Natalie Czech beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit der Wechselwirkung von Bild und Schrift. In den C-Prints "A poem by repetition by Allen Ginsberg" verbindet sie Reproduktionen von Robert Longos Serie "Men in the cities" mit vorgefunden Texten, in denen die Künstlerin durch Hervorhebungen und Markierungen deren lyrisches Potenzial freilegt. Diese Verfahrensweise, Buchstaben, Wörter und Satzzeichen aus dem Zusammenhang der Sprache herauszulösen, steht in der Tradition der Konkreten Poesie von Eugen Gomringer, von dem Grafiken aus der Serie "15 Gedichte" zu sehen sind.

Die seltsam verzerrten Körperhaltungen der Personen in Robert Longos Serie "Men in the cities", die sich zwischen Schwerkraft und Schwerelosigkeit bewegen, eröffnen eine verstörende Ambivalenz, bei der der Hintergrund der Handlungen offen bleibt. Tanzen die Personen, sind sie Opfer eines Gewaltverbrechens oder im Drogenrausch? Auch Ulf Aminde greift in seiner 7-Kanal-Installation "urban tai chi" diese verrenkten Bewegungen auf. Der Künstler zeigt eine Zusammenstellung von selbstgedrehtem und im Internet gefundenem Videomaterial. Zu sehen sind Personen im urbanen Raum, deren im Drogenrausch paralysierte Körper sich in der Schwebe zwischen Stehen und Fallen, zwischen Schlaf und Wachsein, zwischen Leben und Tod befinden.

Im Zentrum der gezeigten Arbeiten von Nan Goldin und Andy Warhol steht die Auseinandersetzung mit dem Tod. Ist es bei Nan Goldin vor allem die persönliche Beziehung zu ihren Freunden und Verwandten, die den Ausgangspunkt für ihre Fotografien bilden, so ist der Tod bei Andy Warhol durch die serielle Wiederholung des Motivs des elektrischen Stuhls entpersonalisiert.

Im großen Raum im Untergeschoss setzen sich die Künstler mit gesellschaftlichen Konventionen auseinander. Stehen in den Arbeiten von Vanessa Beecroft vor allem geschlechtsspezifische Aspekte im Vordergrund, beschäftigt sich Eva Kotátková mit Konzepten von Bildung und Erziehung. Anna und Bernhard Blume spielen in ihren Fotografien mit Rollenklischees und bringen die gewohnte Welt aus den Fugen.

Jack Goldstein, Hanne Darboven und Janet Cardiff & George Bures Miller reflektieren in ihren Arbeiten die Wechselwirkung von Musik, Klang und Bild. So sind die Schallplatten von Jack Goldstein nicht nur Tonträger, sondern werden auch als visuelle Objekte verwendet. Hanne Darboven übersetzt ihre mathematischen Zeichnungen in Musikstücke, die von einer Orgel gespielt werden. Bei Janet Cardiff & George Bures Miller wird der Klang durch den Betrachter hervorgerufen, der wie ein DJ durch das Aufziehen der Karteikästen verschiedene Samples abspielen kann und diese zu neuen Stücken zusammensetzt.

Den Abschluss der Ausstellung bilden Kunstwerke, in deren Zentrum die künstlerische Erforschung der Welt steht. Robert Filliou, der die Kunst immer auch als Erweiterung der Wissenschaft begreift, entwickelt in seiner Arbeit "Erforschung des Ursprungs" ein eigenständiges Erklärungsmodell der Erde. Der Land-art-Künstler Robert Hutchinson interessiert sich vor allem für die temporären Prozesse in der Natur, denen er sich durch intensive wissenschaftliche Recherchen widmet. Camille Henrot verknüpft in ihren Werken Kunst mit Wissenschaft. Im Zentrum der Videoarbeit "The Strife of Love in a Dream" stehen die vielfältigen Versuche des Menschen Angst zu bewältigen. Dafür entwickelt sie eine Sound-Bild-Collage, in der zahlreiche Perspektiven aus Medizin, Populärkultur, Kunstgeschichte und Religion integriert werden.

Die Ausstellung "Re: Collect" greift wichtige Themen des aktuellen Kunstdiskurses auf: die Auseinandersetzung mit Gesellschaft, dem Wert von Kunst, dem Körper, der Sprache und der Musik. Gezeigt wird, wie die zentralen Strömungen der Kunst der 1960er und 1970er Jahre (Performancekunst, Land Art, Konzeptkunst und Pop Art) in der zeitgenössischen Kunst ihren Nachhall finden und wie Künstler sich heute mit Themen und Motiven auseinandersetzen, die auch wesentliche Aspekte der Städtischen Sammlung ausmachen.

KünstlerInnen: Ulf Aminde (DE), Vanessa Beecroft (IT), Joseph Beuys (DE), Anna & Bernhard Blume (DE), Marcel Broodthaers (BE), Janet Cardiff & George Bures Miller (CA), Natalie Czech (DE), Hanne Darboven (DE), Robert Filliou (FR), Nan Goldin (US), Jack Goldstein (CA), Eugen Gomringer (CH), Camille Henrot (FR), Peter Hutchinson (US), Christian Jankowski (DE), Eva Kotátková (CZ), Robert Longo (US), Nasan Tur (DE), Andy Warhol (US)


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28. Juni bis 31. August 2014