Raffael und das Portrait Julius' II.

Mit dem Bildnis Giuliano della Roveres (1443–1513), seit 1503 Papst Julius II., schuf Raffael (Raffaello Santi, Urbino 1483–1520 Rom) zwischen Juni 1511 und März 1512 das verbindliche Porträt dieses bedeutenden Renaissance-Papstes. Mehr noch – er begründete mit seiner Darstellung zugleich den Prototyp für das Papstbild schlechthin, der bis heute Gültigkeit hat. Julius II. wird nicht in liturgischer Gewandung gezeigt, sondern in der Situation einer Privataudienz, zu der er in einem Lehnstuhl Platz genommen hat.

Angesichts der außerordentlichen Wirkungsmächtigkeit von Raffaels Bilderfindung überrascht es nicht, dass es zahlreiche Kopien und Wiederholungen des Julius-Porträts aus dem 16. Jahrhundert gibt, darunter das in der Ausstellung präsentierte Gemälde Tizians (ca. 1545) aus der Galleria Palatina im Palazzo Pitti in Florenz. Doch bereits zu Lebzeiten des Papstes entstanden in der Werkstatt Raffaels und unter seiner aktiven Beteiligung mehrere Fassungen des Porträts, darunter die ebenfalls in der Ausstellung gezeigte Version aus den Uffizien (ca. 1511/12) in Florenz.

Beide Gemälde begleiten und kommentieren im Rahmen der Präsentation "Raffael und das Porträt Juliusʼ II. Eine Kabinettausstellung zu Bildtypus, Genese und Zuschreibung des Bildnisses im Städel Museum" das seit drei Jahren im Städel beheimatete Julius-Porträt, das im Dezember 2011 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde und seitdem in der Altmeistersammlung des Hauses hängt. Das seit den späten 1960er-Jahren als Raffaels Erstfassung des Gemäldes angesehene Bildnis aus der National Gallery in London konnte aus konservatorischen Gründen nicht entliehen werden und wird innerhalb der Kabinettausstellung als Reproduktion in Originalgröße gezeigt.

Neben dem direkten Vergleich der verschiedenen Fassungen werden ebenfalls im Raum 15 des Mainflügels die gemäldetechnologischen Untersuchungsergebnisse des Frankfurter Bildes ausführlich im Original vorgestellt. Eine durch Infrarotreflektografie sichtbar gewordene Unterzeichnung lässt erkennen, dass vor allem im Bereich des Gesichts und der Position des Stuhls Modifikationen vorgenommen wurden. Veränderungen während des Malprozesses (Pentimenti) sind an beiden Armen festzustellen. Wie die Röntgenaufnahme dokumentiert, wurde vor allem die Haltung der rechten Hand verändert.

Vergleicht man die verschiedenen Fassungen des Papstbildnisses untereinander, so fällt die andersartige Platzierung der Figur im Bildgefüge ins Auge. Der Papst ist bei Tizian nicht nur stärker an den linken Bildrand versetzt, er wird vor allem in leichter Untersicht wiedergegeben, was die Distanz zum Betrachter markant erhöht und das Herrscherliche des Auftritts unterstreicht. Die Tizian-Forschung hat diese Abweichung vom wohlbekannten Vorbild Raffaels bisher als einen Akt künstlerischer Freiheit aufseiten des Venezianers betrachtet – nimmt man jedoch das deutlich früher entstandene Frankfurter Julius-Bildnis mit in den Blick, so ergibt sich eine andere Perspektive.

Es scheint, als markiere das Bild im Städel Museum eine alternative Planung für das Julius-Bildnis, die bereits früh zugunsten der im Londoner Gemälde überlieferten Lösung zurücktrat. Das in seiner feinmalerischen Ausformulierung brillante Londoner Gemälde hat sich als Muster für die Mehrzahl der nachfolgenden Versionen und Kopien durchgesetzt. Doch die im Städel-Bildnis überlieferte Alternative blieb bekannt und verfügbar, was nicht nur das Tizian- Gemälde eindrucksvoll belegt, sondern auch eine Reihe weiterer früher Papstbildnisse, darunter das um 1526 geschaffene Bildnis Clemensʼ VII. von Sebastiano del Piombo (Museo di Capodimonte in Neapel).

Begleitend zur Ausstellung ist ein von Jochen Sander herausgegebener Katalog (dt./engl.) im Michael Imhof Verlag erschienen, in dem die Befunde detailliert vorgestellt werden und das Bildnis Juliusʼ II. aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet wird. Der Katalog umfasst wissenschaftliche Beiträge von Bernward Schmidt ("Julius II. – Der päpstliche Monarch"), Michael Rohlmann ("Repräsentation von Künstler und Auftraggeber in den Fresken der Stanzen, der Madonna di Foligno und der Sixtinischen Madonna"), Jörg Bölling ("Den Papst sehen. Eine Privataudienz im Medium des Bildes"), Jürg Meyer zur Capellen ("Überlegungen zum Bildnis des Papstes Julius’ II. von Raffael"), Jochen Sander ("Raffaels Bildnis des Papstes Julius’ II. Zu Genese und Zuschreibung des Porträts im Städel Museum") und Stephan Knobloch ("Zur Restaurierung des Porträts Papst Julius’ II. im Städel Museum").

Raffael und das Portrait Julius" II.
Eine Kabinettausstellung zu Bildtypus, Genese
und Zuschreibung des Bildnisses im Städel Museum
8. November 2013 bis 2. Februar 2014