Puccinis Operntrilogie Il Trittico wird bei den Salzburger Festspielen mit Asmik Grigorian zum großartigen Ereignis und tiefberührenden Erlebnis

11. August 2022 Martina Pfeifer Steiner —
Bildteil

Drei Kurzopern, drei Lebenssituationen, die in ihrer Mannigfaltigkeit das Ganze und in der Verschiedenheit die Essenz ergeben. Das Triptychon von Giacomo Puccini ist ein selten aufgeführtes Stück, Regisseur Christof Loy und der musikalische Leiter Franz Welser-Möst bringen es in voller Lebensrealität auf die Bühne und setzen die überragende litauische Sopranistin Asmik Grigorian in allen drei Miniaturen für die weibliche Hauptrolle ein: in der Erbschleicher-Komödie "Gianni Schicchi" als junges Mädchen, das voll von Hoffnungen ist, im Eifersuchtsdrama "Il Tabarro" ist sie die sehnsüchtig um Liebe und ein besseres Leben kämpfende, leidgeprüfte Ehefrau und in "Sour Angelica" eine Nonne, die diesen Kampf bereits verloren hat, am Ende doch den Eingang ins Paradies findet.

Schlüssig, die Umstellung der Reihenfolge. In Salzburg beginnt man mit der unterhaltsamen psychologischen Verhaltensstudie über die trauernde Verwandtschaft, deren Jammer erst bei Kenntnis des Testaments wirklich schmerzvoll wird. Asmik Gregorian ist hier Lauretta, die Tochter des listigen Gianni Schicchi (wunderbar passend in dieser Rolle der georgische Bariton Misha Kiria). Da muss man also auf den großen Opern-Hit "O mio babbino caro" (oh mein geliebter Vater) nicht lange warten. Es sind aber auch die kleinen Gesten, die sie zur so großartigen Darstellerin machen, wie beispielsweise die Fußhaltung des in diesem Stück so unbedarften Mädchens, das ist schauspielerisch nicht erlernbar. Gregorian bemerkte einmal in einem ORF-Interview auf die Frage, wie man derartig unterschiedliche Rollen darstellen könne, ganz klar, dass sie nicht spiele, sondern einfach fühle, wie sie selbst auf die verschiedenen Lebenssituationen reagieren würde.

Schlüssig auch die szenische Umsetzung und das Bühnenbild. "... schon seit meinen Anfängen geht es mir in meinen Inszenierungen darum, an einem Minimalismus zu arbeiten und mit psychologischer Genauigkeit Figurenportraits zu zeichnen." Für den Regisseur Christof Loy sei es faszinierend, welch präziser Menschendarsteller Puccini sei. Das gelte auch für die musikalischen Räume, wo sich Vieles im leisen dynamischen Bereich abspiele. "Aus Puccinis genauen Forderungen an Sänger und Figuren ergibt sich gewissermaßen ein Puzzle, bei dessen Zusammensetzung man viele Freiheiten entdecken kann."

Während am Anfang im imposanten, jedoch kargen Raum nur das Bett mit dem Verblichenen (der kurzerhand darunter landet, wenn der Notar anklopft) und die Stuhlreihe für die Angehörigen reichlich Entfaltungsmöglichkeit ihrer Charaktere bieten, wird die Szenerie im "Tabarro" (Der Mantel) mit Schleppkahn, ausufernder Wohnzimmersituation und die Andeutung des Seine-Ufers im Paris des Jahres 1910 etwas zu üppig. Im zweiten Teil ist nun Giorgetta die zentrale Figur. Sehr authentisch kommt die Sehnsucht der leidgeprüften Ehefrau rüber, die noch immer vom vergangen und besseren Leben im kleinen Vorort Belleville träumt. Sie ist indifferent, will das Leben mit ihrem Mann Michele (Bariton Roman Burdenko), betrügt ihn jedoch mit seinem Aushilfsarbeiter Luigi (der mexikanische Tenor Joshua Guerrero). Das Verhängnis nimmt seinen Lauf – der Geliebte erwürgt und verborgen unter dem Mantel, das Paar weiß, dass eine gemeinsame Zukunft endgültig zerstört ist. "Ah!"

Und im letzten Akt "Suor Angelica" wieder Raum: klar, einfach, konzentriert. Die Kräuter in Töpfen deuten an, dass die Nonne Angelica in ihren sieben Buse-Jahren zur Heilerin geworden ist. Im langen Monolog macht Asmik Grigorian erschütternd den großen Schmerz über ihr totes Kind mitfühlbar, das plötzliche Entsetzen über ihre Verzweiflungstat, der Gifteinnahme – am Ende die Umarmung ihres Sohnes als Sinnbild für Vergebung. Das ist pure Emotion, auch was das Orchester und der Chor zu verbreiten vermag. Zutiefst berührend.

Die drei Opern bieten in den erzählten Geschichten und den völlig unterschiedlichen Kompositionen eine unglaubliche Intensität. Franz Welser-Möst spannt den großen Bogen sehr differenziert und bravourös. Die schnellen Stimmungswechsel stellten musikalisch hohe Anforderungen, Puccini sei eben ein Großmeister der Komprimiertheit sagt er: "Man schiebt Puccini gern in die Kitschecke, aber das ist völlig falsch. Ich bin ein großer Puccini-Fan – nicht einfach deshalb, weil es jedes Mal eine Melodie gibt, die man mitsingen kann, sondern weil er die Kunst des Orchestrierens so beherrscht hat und, ganz allgemein gesprochen, sein Sinn für Theater einfach so enorm war. Hinzu kommt Puccinis Fähigkeit, mit ganz wenigen Noten enorm viel zu sagen: Wagner braucht da wesentlich länger. Puccini hat auf der Höhe seiner Zeit agiert, war interessiert an den neuesten Entwicklungen. Er ist, so wie Mahler, Schönberg und Berg, 1906 zur österreichischen Erstaufführung der 'Salome' nach Graz gepilgert – und man hört das auch. Das Vorspiel zum dritten Akt von 'La fanciulla del West' zum Beispiel zählt absolut zur Moderne, genauso wie auch viele Passagen in 'Il Tabarro'."

Das ist Oper. Das kann Oper. Emotion, Spannung, tiefgründige Erkenntnisse zum Menschenleben. Überwältigend das Gebotene und überwältigend, wenn sich alle, alle Mitwirkenden zum frenetischen Schlussapplaus auf der Bühne versammeln.

Il TRITTICO von Giacomo Puccini (1858—1924)
GIANNI SCHICCHI
Libretto von Giovacchino Forzano nach einer Episode aus dem ersten Teil (Inferno) der Divina Commedia (1321) von Dante Alighieri
IL TABARRO
Libretto von Giuseppe Adami nach dem Schauspiel La Houppelande (1910) von Didier Gold
SUOR ANGELICA
Libretto von Giovacchino Forzano

Musikalische Leitung: Franz Welser-Möst
Regie: Christof Loy
Bühne: Étienne Pluss
Kostüme: Barbara Drosihn
Licht: Fabrice Kebour
Dramaturgie: Yvonne Gebauer