Propheten und Eingeweihte - Bonnard, Vallotton und die Nabis

Die 1888 gegründete Gruppe der Nabis um die Künstler Pierre Bonnard, Maurice Denis, Félix Vallotton und Édouard Vuillard steht sinnbildlich für die Anfänge der modernen Kunst.

Die Abschiedsausstellung der Sammlung Hahnloser/Jaeggli im Kunstmuseum Bern zeigt deren prominenteste Werke der Maler dieser mutigen Bewegung und veranschaulicht ihre vielfältigen Bezüge zu Paul Gauguin und Odilon Redon. An der Wende zum 20. Jahrhundert wandelte sich die Kunst von gegenständlichen Darstellungsformen hin zur Abstraktion. Die 1888 gegründete Gruppe der Nabis um die Künstler Pierre Bonnard, Maurice Denis, Félix Vallotton und Édouard Vuillard steht sinnbildlich für diesen Zerfall des Impressionismus und die Hinwendung zu einer modernen Kunst.

Der Name der Gruppe, "Nabis", leitet sich vom hebräischen Begriff nebiim für "Propheten" oder "Eingeweihte" ab laut Paul Gauguin die Bestimmung eines jeden wahren Künstlers. Dem entspricht auch der Titel der Ausstellung, "Vivre notre temps!", der aus einer Aufzeichnung der Sammlerin Hedy Hahnloser stammt. Sie äussert darin die Überzeugung, dass nur durch den Austausch mit Kunstschaffenden und kreativen Zeitgenoss:innen die Bedeutung und die Ziele der eigenen Generation besser verstanden und in der eigenen Zeit Spuren hinterlassen werden können.

Obwohl die Nabis weder ein einheitlicher Stil, noch eine einheitliche Technik oder Entwicklung verbindet, gründen ihre Darstellungen auf denselben revolutionären Ideen dieser Umbruchszeit am Übergang zum 20. Jahrhundert, die jedes Mitglied der Gruppe nachhaltig geprägt haben. Und es zeigt sich eine faszinierende doppelte Verwurzelung: unbestritten in Paul Gauguin und subtiler in Odilon Redon.

Einen Schwerpunkt der Ausstellung bilden die "intimen Orte" als Inspirationsquellen und Motive der Nabis. An ihnen lassen sich besonders deutlich die für den Beginn der Moderne prägenden Spannungen zwischen Altem und Neuem, zwischen Gegenstand und Farbfläche und zwischen Mimesis und Experiment aufzeigen.

Im Gegensatz zu den Impressionist:innen waren die Nabis nicht daran interessiert, das pulsierende Leben der Grossstadt mit ihren dicht bevölkerten Boulevards und den von Leben erfüllten Plätzen und Parks darzustellen, sondern richteten den Blick auf ihre nächste Umgebung, zeigten Figuren in "intimen Räumen" mit "lokalem Flair", Landschaften, Alltagssituationen und Stillleben. Meistens treten ihre Figuren in häuslichen Situationen in Erscheinung, sei es in ungestörten Momenten im Ankleidezimmer oder im Schlafzimmer, Esszimmer oder Salon, auf dem Balkon, der Terrasse oder im Garten hinter dem Haus. Obwohl die Nabis mit diesen klassischen Motiven arbeiteten, strahlen ihre Werke etwas Unbekanntes, Unfassbares aus und wirken wenig naturalistisch. Vielmehr erforschte die Gruppe an ihnen neue Darstellungsformen und eine neue Wahrnehmung von Altbekanntem. Es dominieren monochrome Farbflächen und eine radikale Reduktion, oft fehlen erzählerische Komponenten und die Grenzen zwischen Porträt und Stillleben verlaufen fliessend. Die Figuren besetzen den Raum nicht als Subjekte, sondern verschmelzen mit ihm.

Mit ihren Ideen und neuen Formen der Darstellung ebneten die Nabis den Weg für die moderne Kunst, in der es nicht mehr darum ging, Dinge naturgetreu umzusetzen, sondern sie zu komplizieren. In der Gegenüberstellung von Werken der Nabis mit Werken ihrer wichtigsten Vorbilder Paul Gauguin und Odilon Redon verdeutlicht die Ausstellung ihre vielseitige Verwurzelung in diesen beiden wichtigen Künstlern und hält den Moment fest, in dem das künstlerische Vokabular neu bewertet wurde.

"Vivre notre temps!" Bonnard, Vallotton und die Nabis
Bis 16. Oktober 2022