Pauline M’barek. Formen der Berührung

Der Frankfurter Kunstverein zeigt eine große Überblicksausstellung des künstlerischen Werks von Pauline M’barek. Die 1979 geborene und in Brüssel und Köln arbeitende Künstlerin erhielt bereits zahlreiche Kunstpreise und ist im Frühjahr 2014 mit dem renommierten Karl Schmidt-Rottluff Stipendium ausgezeichnet worden. Die in der Ausstellung vereinten Werkgruppen kreisen um Orte, Momente und Formen von Berührung und um die Frage, wie sich diese materialisieren. Ausgangspunkt ist dabei stets der Körper und seine Sinne, mit denen die Welt und auch der Mensch selbst erfahrbar wird.

Pauline M’bareks Kunstwerke analysieren die Möglichkeitsbedingungen des Erfassens, also die Grenzen zwischen Wissen und Wahrnehmung, Beobachter und Beobachtetem, Gezeigtem und Verborgenem. Ihre multimedialen Inszenierungen kehren gewohnte Relationen zwischen Subjekt und Objekt um und lassen auf diese Weise räumliche Verhältnisse, optische Phänomene, konstruktive Bedingungen und zuweilen auch politische Hintergründe aufeinander prallen. Gegenstand ihrer Skulpturen, Zeichnungen, Video- und Audioinstallationen können die wahrnehmenden Sinne selbst sein – das Sehen, Hören oder Tasten – wie auch die Objekte und Medien, in oder auf denen sich eine für wahr genommene Wirklichkeit zeigt: der Rahmen eines Bildes, eine Ausstellungsvitrine, die Halterung eines Objekts.

Die Installationen Pauline M’bareks verknüpfen oft mehrere Arbeiten in unterschiedlichen medialen Formen, die eng aufeinander bezogen sind und zusammen eine komplexe ortspezifische Choreografie bilden. In der speziell für die Räume des Frankfurter Kunstvereins konzipierten Ausstellung entfalten sich die verschiedenen räumlichen und inhaltlichen Achsen und Perspektiven erst durch die körperliche Bewegung und durch den Blick des Betrachters. M’bareks Arbeiten nähern sich dabei behutsam den Zonen des Übergangs und der Berührung zwischen Subjekt und Objekt, Wissenschaft und Glauben, Auge und Hand. So entsteht ein permanenter Umbruch von Dimensionen räumlicher Ordnungen: Unsichtbares materialisiert sich und optische oder materielle Prozesse der Umstülpung von Körpern und Verhältnissen machen die Relativität der eigenen Wahrnehmung erfahrbar.

Zentrales Thema der Einzelausstellung ist die Beschäftigung der Künstlerin mit Formen der Berührung, verstanden als paradoxe Phänomene, als Momente der Unschärfe und Ambiguität. Wenn sich zum Beispiel die eigenen zwei Hände berühren, dann entsteht eine Doppelempfindung, eine Verschränkung zwischen Berührendem und Berührtem, wahrnehmenden Äußeren und wahrnehmenden Inneren. Den Überlegungen des französischen Philosophen Maurice Merleau-Ponty folgend, fragt M’barek nach dem Ort der Berührung: Liegt er in der einen oder in der anderen Hand, oder gar im Dazwischen, im umfassten Leerraum?

Dieser Frage geht beispielsweise die Arbeit "Artefakte" (2014) nach, die aus mehrere knochenartigen Gebilden aus Gips besteht, welche auf einem Spiegelregal aneinandergereiht an die Präsentation archäologischer Fundstücke erinnern. Bei näherer Betrachtung erweisen sich diese Objekte als Negativabdrücke des Innenraums zweier sich berührender Hände. Der unsichtbare Hohlraum dazwischen wurde mit Gips ausgefüllt und so ins Positive übersetzt, genauer gesagt in muschelartige, abstrakte Zwischenformen, und erhält so eine formale Definition.

Mit umfassten Leerräumen beschäftigt sich auch die Videoarbeit "Semiophoren" (2013), in der zwei weiß behandschuhte Hände behutsam und eingehend verschiedene ethnologische Objekte betasten und erforschen. Da diese Objekte schwarz sind und die Untersuchung vor dunklem Hintergrund geschieht, bleiben sie vollständig unsichtbar. Es entsteht zwischen den Händen ein geisterhafter Leeraum, der dennoch stabil und widerständig ist. Nur durch die Berührung der behandschuhten Hände werden Konturen der Objekte sichtbar und es lassen sind einzelne Teile erahnen.

Den Körper als Möglichkeitsbedingung unserer Wahrnehmung und das Sehen als ein Tasten mit dem Blick macht M’barek in ihrer ortspezifischen Videoarbeit "Glance" (2014) sichtbar. Der Betrachter sieht ein großes Auge, auf dessen Pupille sich die Architektur eines Raumes spiegelt, aber auch Wimpern, Nase, Hände und Beine einer sich im Raum bewegenden Person. Zu beobachten ist hier der beobachtende Blick, der durch die Bewegung des Körpers vorbedingt wird.

Um die Inversion des Blicks geht es auch in der Arbeit "Trophäenhalter" (2011). Sie besteht aus sechs an die Wand montierten Maskenhalterungen, wie man sie aus ethnologischen Museen kennt. Ohne Masken, deren Formen sich aber erahnen lassen, ragen die spitzen Metallgabeln nun bedrohlich in den Raum und erinnern an die gewaltsame Aneignung und Verschleppung solcher Masken in den dunklen Kapiteln der Kolonialgeschichte. "Trophäenhalter" verweist auf die Kehrseiten von mit Stempel oder Inschrift versehenen Museumsobjekten, die durch Erforschung, Befassung und Einordnung mit Bedeutung aufgeladen werden.

Gleichzeitig wecken die schattenwerfenden Metallständer Assoziationen an geheimnisvolle Schriftzeichen einer fernen, fremden Kultur. Durch den scheinbar einfachen skulpturalen Hinweis auf die Rückseite der afrikanischen Maske kann M’barek weitreichende Fragen nach der Grenze zwischen Betrachter und Objekt, nach dem Eigenen und dem Fremden, nach Spiegel und Gespiegeltem aufwerfen, nach Formen der Berührung.


Pauline M’barek. Formen der Berührung
31. Oktober 2014 bis 4. Januar 2015