Paul Klee - Ich will nichts wissen

Was hat das Werk von Paul Klee mit einer Figur der Bena Lulua aus dem Kongo, mit Höhlenmalereien, Adolf Wölfli oder den Kinderzeichnungen seines Sohnes Felix zu tun? Und wie können heute Themen wie Art Brut oder Primitivismus in Ausstellungen diskutiert werden? Die Ausstellung "Paul Klee. Ich will nichts wissen" im Zentrum Paul Klee widmet sich erstmals umfassend den Bildquellen, für die sich Paul Klee interessierte, und sucht dabei nach Antworten auf diese Fragen. Als Forschungsausstellung präsentiert sie die Ergebnisse kritischer Recherchen zu Paul Klees Bibliothek und Künstlerarchiv und Se zeigt auf, wie er diese Anregungen in seinem künstlerischen Werk umsetzte.

Das Zentrum Paul Klee verfügt dank einer Schenkung der Familie Klee über das weltweit grösste Archiv zu Paul Klees Leben und Werk. Es ist das wichtigste Forschungszentrum zu Paul Klee und präsentiert regelmässig in Ausstellungen einem breiten Publikum die Ergebnisse ausgewählter Forschungsschwerpunkte. Anhand von Büchern aus Klees Bibliothek, seinen Briefen, privaten Objekten sowie Äusserungen in der Presse und von Zeitgenoss_innen offenbart Paul Klee. Ich will nichts wissen Klees vielseitige Quellen, die ihn in seiner künstlerischen Suche nach "unverbildeter Unmittelbarkeit" bestärkten. In Modulen mit Archivmaterialien werden vier Themenbereiche, die den Künstler besonders interessierten, vorgestellt: Kinderzeichnungen, psychopathologische, nichteuropäische und prähistorische Kunst.

Wie viele andere Künstler_innen der Avantgarde des beginnenden 20. Jahrhunderts suchte Paul Klee nach einer neuen Bildsprache, um den gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Umbrüchen und Krisen, die Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts prägten, gerecht zu werden. Dabei wandte er sich von den akademischen Normen, die an europäischen Kunstschulen gelehrt wurden, radikal ab. Er wollte neu beginnen und entwickelte die Vorstellung, dass er zu den Uranfängen von Kunst vordringen könne: "Wie neugeboren will ich sein, nichts wissen von Europa, gar nichts. Keine Dichter kennen, ganz schwunglos sein; fast Ursprung."

Dazu studierte er prähistorische Höhlenmalereien und Petroglyphen, nichteuropäische und psychopathologische Kunst sowie Kinderzeichnungen, darunter diejenigen seines Sohnes Felix und seine eigenen, die er auf dem Dachboden seines Elternhauses in Bern wiedergefunden hatte. Gleichgesinnte fand er in der Gruppe um den Blauen Reiter, darunter Wassily Kandinsky, Franz Marc und Gabriele Münter, sowie die Dadaisten und Surrealisten, mit denen er in den 1910er- und 1920er-Jahren verkehrte.

Die Auseinandersetzung mit diesem sogenannten "Anderen" entsprang einer grossen Faszination für alle künstlerischen Ausdrucksformen, die nicht der akademischen Norm entsprachen: Die auf einfache Formen und Linien reduzierte prähistorische Kunst wurde als zeitlos erachtet, die Kunst von Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung und Kindern wurde als unmittelbar, "authentisch" und auf den wesentlichen Ausdruck reduziert anerkannt. Diese damals als "primitiv" erachteten Qualitäten versuchten die Künstler_innen in ihren eigenen Werken umzusetzen. Gleichzeitig gründete der so entstandene Primitivismus jedoch auf rassistischen und diskriminierenden Konzepten. Denn die Künstler_innen betonten stets, dass sie ganz bewusst eine reduzierte, "primitive" Bildsprache wählten, während sie ihren Vorbildern solche bewussten Entscheidungen absprachen. Indigene Kunst wurde als "Weltkunst" losgelöst von ihrem Entstehungs- und Wirkungsort betrachtet und exotisierend vereinnahmt.

Wie ambivalent diese vielschichtige Auseinandersetzung mit dem "Anderen" und die Begrifflichkeiten sind, zeigt sıch bereits in den zeitgenössischen Reaktionen auf Klees eigenes Werk: Er male wie ein Kind, ein Höhlenmensch, ein "Primitiver" oder "Geisteskranker" - Assoziationen und Zuschreibungen, mit denen der Künstler im positiven wie im negativen Sinn konfrontiert wurde. In Avantgardekreisen wurde seine Kunst bewundert, in akademischen Zirkeln kritisiert und abgelehnt. Die Nationalsozialisten sahen gar das, was sie als die "Entartung" der modernen Kunst gebrandmarkt hatten, in Klee bestätigt.

Die Ausstellung beleuchtet Inhalte und Vokabular von Klees Werken und Bildquellen, hinterfragt koloniale Denkweisen aus einer heutigen interdisziplinären Sicht und ordnet sie in ihren historischen Kontextein. Begriffe wie "Irrenkunst", "primitive Kunst" oder Primitivismus werden thematisiert und in Beziehung zu heutigen Diskursen gesetzt. Im Kern geht es um die Frage, wie zu Klees Zeiten und heute in der Kunst mit Vorstellungen von Normalität umgegangen wird, wie wir diese in Ausstellungen diskutieren und dazu Stellung beziehen.

Paul Klee. Ich will nichts wissen
8. Mai bis 29. August 2021