Orte des Transits von Muntean und Rosenblum

Seit den 1990er-Jahren arbeiten die beiden Künstler Markus Muntean und Adi Rosenblum zusammen. In ihrem vornehmlich malerischen Œuvre verbinden sie ihre Identitäten auf eindrucksvolle Weise zu einer künstlerischen Handschrift. Das Städel Museum in Frankfurt präsentiert in der Sammlung Gegenwartskunst eine Einzelausstellung des Künstlerduos mit einer Videoarbeit und elf großformatigen Gemälden – darunter zwei neue Werke –, deren Schauplätze Orte des Transits sind: Einkaufszentren, Flughafenhallen, Hotels oder Büros. Vertieft in ihre eigenen Gedanken blicken die jugendlichen Protagonisten konzentriert auf Smartphones oder in die Ferne, sind in Bewegung oder schauen die Betrachter gelangweilt oder genervt an.

Munteans und Rosenblums Arbeiten bewegen sich zwischen den Einflüssen vergangener Kunstepochen und popkulturellen Phänomenen der Gegenwart. Während ihre Kompositionen fest im Bildgedächtnis der Kunstgeschichte verankert sind und sich auf berühmte Meisterwerke von der Renaissance bis zur Moderne beziehen, sind ihre Figuren voll und ganz der Jetztzeit entnommen. Sie entstammen einem über die Jahre angelegten Bildarchiv, das sich aus gefundenen Fotografien in Lifestyle-Magazinen, dem Internet oder aus eigenen Fotoshootings speist. Basierend auf diesem reichen Bilderfundus entwirft das Künstlerduo mit den Mitteln der Malerei eigentümliche Szenerien: Inmitten von anonymen Großstadtkulissen wirken die dramatisch arrangierten jungen Menschen wie isolierte Statisten in einem zeitgenössischen Schauspiel. In ihrer Komposition fremd und gleichzeitig vertraut, vermitteln die Gemälde eine Atmosphäre von Lethargie und Gleichgültigkeit. Es ist ein schmerzvoller, aber auch befreiender Moment, der den Übergang von der Jugend zum Erwachsenenalter markiert – ein Schwebezustand. Wie unter einem Brennglas nähern sich Muntean und Rosenblum zentralen Themen unserer Zeit: den Ambivalenzen der menschlichen Existenz, der wachsenden Unsicherheit des Individuums und dem durchdringenden Gefühl der Vergänglichkeit.

Die Bildwelten von Muntean und Rosenblum bewegen sich zwischen Realität und Illusion. Während die Szenerien ihrer Gemälde auf den ersten Blick stimmig erscheinen, verraten bestimmte Details, dass sie auf diese Weise nie stattgefunden haben können: Blicke und Handlungen der Dargestellten weichen unnatürlich voneinander ab, überschneiden sich und passen nicht in die wiedergegebene Situation. Dieser Effekt ergibt sich aus dem Werkprozess der Gemälde, bei dem zunächst Material aus dem Bildarchiv des Künstlerduos zu einer digitalen Collage zusammengefügt und im nächsten Schritt auf die Leinwand übertragen wird. Das Künstlerduo spannt die bis zu fast fünf Meter breiten Leinwände selten auf Keilrahmen, sondern befestigt sie direkt auf die Wände. Der Bezug ihrer Kompositionen zu bedeutenden Werken der Kunstgeschichte ist mal mehr, mal weniger offensichtlich, etwa durch das Aufgreifen konkreter Motive oder durch dezente Anspielungen wie die Verwendung der Zentralperspektive als höchste Errungenschaft der neuzeitlichen Malerei.

Munteans und Rosenblums Darstellungen sind nicht im Sinne eines Fotorealismus zu verstehen. Die Rahmung durch einen weißen Rand ähnlich wie in einem Comic hebt den Illusionismus der Malerei als "Fenster zur Welt" zusätzlich auf. Im unteren Bildfeld der Gemälde eröffnen prägnante Zitate aus literarischen Werken von Schriftstellern wie Fjodor Dostojewski, Deborah Levy, Rebecca Solnit oder Virginia Woolf eine weitere, spannungsreiche Ebene, die allerdings keinen direkten Bezug zwischen Bild und Wort herstellt und folglich einen verlässlichen Interpretationsansatz versagt. Sie lädt stattdessen den Betrachter ein, den hier entstandenen Raum mit eigenen Gedanken und Assoziationen zu füllen und zu erweitern. Der Titel der Ausstellung im Städel Museum ist der Arbeit "Untitled" ("The earth is literally a mirror …") (2018) entnommen. Es ist ein Zitat aus Saul Bellows 1970 veröffentlichtem Roman Mr. Sammler’s Planet: "The earth is literally a mirror of thoughts. Objects themselves are embodied thoughts. Death is the dark backing that a mirror needs if we are to see anything."

Die Transitorte, wie sie sich in den Werken der Ausstellung zeigen, werden auch als Nicht-Orte bezeichnet. Nach dem französischen Anthropologen Marc Augé weisen sie weder eine eigene Identität noch eine bestimmte Geschichte oder Relation auf. Ihnen wohnt eine bestimmte Ambivalenz inne, die im Konzept der Werke widerhallt. Menschen, die sich in Flughäfen, Wartehallen, U-Bahnhöfen, Hotels oder Büros aufhalten, gehen dort z. B. mit dem Kauf eines Flugtickets einen Vertrag ein. Sie verlieren ihren Status als Individuum und werden zum Gast, Passagier oder Kunden.

Auch die jungen Menschen in den Gemälden haben keine Identität. Sie wurde im Werkprozess ausgelöscht: Ihrer ursprünglichen Aufgabe enthoben, wird ihnen auch im neuen Bildkontext keine neue Handlung zugewiesen. So passt beispielsweise die Körperhaltung der zentralen Figur in "Untitled" ("What lies ahead …") (2023) nicht in die Situation am Flughafen. Unscheinbare Details in den Gemälden weisen auf eine Transformation vom individuellen Subjekt zum reinen Objekt in den Werken von Muntean und Rosenblum hin. Das Notausgangsschild in "Untitled" ("To hope is dangerous …") (2023) etwa richtet sich an jede sehende Person und der Geldautomat in "Untitled" ("It’s the tragedy of …") (2016) kommuniziert ebenfalls mit jedem gleichermaßen. Wie sehr eine daraus resultierende Anonymität mit Einsamkeit verbunden sein kann, zeigt eine rätselhafte Hotelszene im Werk "Untitled" ("To go wrong …") (2010). Obwohl sich die beiden Figuren in einem privaten Raum befinden, wird keinerlei persönliche Beziehung zwischen ihnen ersichtlich. Mit dem Großraumbüro in "Untitled" ("Nothing fixes a thing …") (2010) gibt das Künstlerduo der Objektivierung des Menschen, der hier zu einem Angestellten ohne Persönlichkeit wird, die passende Bühne.

Das Schaffen von Muntean und Rosenblum umfasst ebenso Performance und Videokunst. Der in der Ausstellung präsentierte Film "This Is Not An Exit" (2017, 3:13 Minuten) erzählt davon, wie viel Kraft und Anstrengung es kosten kann, eine eigene Identität zu entwickeln und zu gestalten. Auf einem verlassenen Gebäude mit moderner Architektur inszeniert das Künstlerduo zwei Parkour-Läufer, die zuweilen ernst und erschöpft wirken. Zu sehen sind sie in Pausensituationen oder kurz vor ihrer eigentlichen Tätigkeit, begleitet von einem eigens komponierten, repetitiven Soundtrack, der Fragmente aus Gertrude Steins Roman "The Making of Americans" wiedergibt. Die 1925 erschienene Erzählung thematisiert die Geschichte und Entwicklung US-amerikanischer Familien sowie einzelner Persönlichkeiten und macht deutlich, dass die Identität eines Menschen nicht nur von seinen individuellen Eigenschaften abhängt, sondern auch von den Beziehungen und Verbindungen, die er zu anderen Menschen unterhält.

Markus Muntean (*1962 in Graz, Österreich) und Adi Rosenblum (*1962 in Haifa, Israel) arbeiten seit 1992 zusammen und leben in Wien.

Muntean/Rosenblum
Mirror of thoughts
3. Mai bis 1. Dezember 2024