Orpheus und Eurydike. Ein überirdisches Musikerlebnis bei den Salzburger Festspielen

Die großartige Cecilia Bartoli gibt den Orpheus, exzellent aufgehoben im noch nie so gehörten Klangteppich des "Ensemble du Prince – Monaco" und dem Vocalensemble "Il Canto di Orfeo", unter der musikalischen Leitung von Gianluca Capuano. Doch wird uns in der Inszenierung von Christof Loy der wohldurchdachte und -komponierte Schluss von Christoph Willibald Gluck vorenthalten. Nicht gut!

Fasziniert vom Bühnenbild, das einen klaren, erhabenen Raum schafft, und der andächtigen Anfangsszene, wird das Weglassen der Ouvertüre gar nicht bemerkt. In langsamer Bewegung steigen Personen die Treppenanlage herab, die Halle ist Holz getäfert, im Zentrum ein riesiges, weißes Portal. Erst wenn sich der herzzerreißende Trauergesang der Hirten und Nymphen einschmiegt, nimmt man eine untere Ebene wahr, nämlich die klug eingefügten Sitzstufen für den Chor. Orpheus Verzweiflung wird durch die stimmige Choreografie von zwölf Tänzerinnen und Tänzer spannungsvoll emotional verbildlich.

Orpheus ist Künstler, seine Kraft und Fantasie kann Tote zum Leben erwecken. Cecilia Bartoli, im schwarzen Hosenanzug mit streng nach hinten gebundenem Haar, vermittelt dies eindrücklich. Sie vermag im großen Schmerz einer gequälten Seele ein unvorstellbares Pianissimo zu singen, überirdisch getragen vom "Ensemble du Prince – Monaco". Bartoli ist künstlerische Leiterin dieses Orchesters und hat hier einige der weltbesten auf historischen Instrumenten spielenden Musiker:innen zusammengebracht. Gianluca Capuano und sein "Il Canto di Orfeo" sind ebenfalls als hochgeschätzte Interpreten der Vokalmusik des Barocks bei den bedeutendsten Alte-Musik-Festivals geladen. Unbeschreiblich, dieses Musikerlebnis. Was der Mailänder Originalklang-Spezialist an Klangfarben, Linienführung und präziser Artikulation entstehen lässt, ist einfach nur wundervoll. Da kommt ein Toben und Fauchen im Tanz der Furien – fulminant dargestellt auch vom Ballett – aufwühlend rüber, das dann der genialen Komposition entsprechend abebbt – und Orpheus wird eingelassen in die Unterwelt.

Wie groß die Herausforderung ist, Eurydike im Elysium zu finden und dem Hades zu entreißen ahnt Orpheus. Die französische Sopranistin Mélissa Petit vermittelt glaubwürdig, wie fern die Vorstellung Eurydikes schon ist, vom seligen Vergessen wieder in ein irdisches Leben voller Liebesleid und –qualen zurückgeholt zu werden. Das Libretto von Ranieri de´Calzabigi bietet dazu auch viel psychologisch Stimmiges. Und selbstverständlich die grandiose Musik! Die größte Überraschung gelingt Capuano aber in einer Schlüsselstelle, der Arie "Che farò senza Euridice – Ach, ich habe sie verloren": Durch alternative historische Quellen belegt, wird in rasendem Tempo eingestiegen und die abgrundtiefe Verzweiflung erlebbar gemacht, um erst zum Schluss ins gewohnte elegische Zeitmaß zu schwenken.

Orpheus hat die vom Komponisten und Librettisten vorgesehene glückliche Wendung verdient. Eurydike hätte doch erahnen können, dass ihm nur ein ganz besonderes Opfer ermöglichte, die Pforte zur Unterwelt lebend zu durchschreiten. Er versuchte alles, um ihr dies eindrücklich zu vermitteln. Und abrupt endet die Aufführung in Salzburg ohne den letzten Akt. Erst jetzt wird bewusst, dass auch der Anfang fehlte. Denn die optimistisch klingende Ouvertüre nimmt nicht nur ein doch noch glückliches Ende vorweg, sondern sie verstärkt auch die Dramatik, wenn ein Mensch plötzlich aus dem vollen Leben gerissen wird.

Dass diese weggelassen wird, hätte schon Herbert von Karajan so gemacht, erklärte Christof Loy (der im vorigen Jahr mit "Il Trittico" hoch punktete) flapsig, und nimmt sich eindeutig zu viel heraus, auch das Finale der Oper umzuschreiben. "In der Werkgeschichte waren Ouvertüre und Schluss immer die Angriffspunkte. Wir wollen Gluck nicht weiter attackiert wissen und haben diese Teile weggelassen." Das ist hoffentlich nicht die Begründung sondern nur der Einfachheit halber so gesagt. Noch dazu, wenn man sich so deutlich auf die Aufführung der Parma-Fassung aus 1769 beruft, weil diese für einen Soprankastraten und damit förmlich für den Mezzo der Bartoli adaptiert wurde. Doch sollte dabei schon auch beachtet werden, dass diese Bearbeitung als Festoper für die Hochzeit von Kaiserin Maria Theresias Tochter, der Erzherzogin Maria Amalia von Österreich, mit Ferdinand von Bourbon-Parma entstanden ist, und der Auftritt Amors mit dem Happy End und der Feierlichkeit im Tempel der Schönheit und Liebe unbedingt dazugehörte.

Es ist nämlich absolut verstörend, wenn Orpheus im Dunkel verschwindet und die Totenklage vom Anfang wiederholt wird. AUS. Kein Amor (eine unziemliche Bagatellisierung dieser Rolle, es gibt ja insgesamt nur drei Solorollen!) gebietet Einhalt, um den verzweifelten Todesstoß zu verhindern (im Libretto finden sich dazu Worte!), kein zukunftsweisender Abschlusschor "Trionfi Amore" als Kernaussage, die ja offen lässt wohin das Liebespaar ins Glück geht, ob im Leben oder wie bei Monteverdi doch im Elysium. So kann Orpheus und Eurydike nicht enden! Die Anmaßung des Regisseurs, vor lauter Verliebtheit in die eigene Interpretation – und vor allem in seine Inszenierung – das Werk umzuschreiben, ist beträchtlich. Diese hätte nämlich zweifellos Potenzial für ein dem Stoff und dem Komponisten würdiges Ende gehabt.

Orfeo ed Euridice
Christoph Willibald Gluck (1714–1787)
Azione teatrale in sieben Szenen (Fassung Parma, 1769)
Libretto von Ranieri de´Calzabigi

Musikalische Leitung: Gianluca Capuano
Regie und Choreografie: Christof Loy
Bühne: Johannes Leiacker
Kostüme: Ursula Renzenbrink
Licht: Olaf Winter
Dramaturgie: Klaus Bertisch

Orfeo: Cecilia Bartoli
Euridice: Mélissa Petit
Amor: Madison Nonoa
Il Canto di Orfeo
Les Musiciens du Prince – Monaco
Tänzerinnen und Tänzer