Ornamentgrafik von Dürer bis Piranesi

Das Kunstmuseum Wolfsburg ist mit seinen thematischen Ausstellungen bekannt für seine regelmäßigen Ausflüge zurück in die klassischen und frühen Perioden der Moderne. Mit "Ornament" wagt das Haus anhand eines besonderen Grafikthemas - dem Ornamentstich - einen Sprung darüber hinaus. Angefangen mit Albrecht Dürers berühmter Serie der Knoten, sechs eindrucksvoll verzierten Holzschnitten aus der Renaissance, vereint die Ausstellung rund einhundert wertvolle druckgrafische Blätter und einige ornamentierte Gegenstände aus der Zeit vom 15. bis zum 18. Jahrhundert. Ein Großteil der kunsthistorischen Schätze stammt aus der umfassenden Sammlung des Herzog Anton Ulrich-Museums in Braunschweig.

Diese Nachzeichnung der Geschichte und Entwicklung des Ornaments als eine Kunstform macht die ungebrochene Aktualität des Ornamentalen insbesondere in der zeitgenössischen Kunst deutlich. Zu sehen sind Holzschnitte, Kupferstiche und Radierungen, unter anderem nach Raffael, von Cornelis Bos und Cornelis Floris, von Daniel Hopfer, Albrecht Dürer und Heinrich Aldegrever, von Stefano della Bella, Christoph Jamnitzer, Benigno Bossi, Giovanni Battista Piranesi, François de Cuvilliés und nach Antoine Watteau.

Faszinierend ist die raumbildende Kraft des Ornaments, das als Motiv kein Davor und kein Dahinter kennt. Dadurch durchdringen sich die Vorstellungen von Fläche und Raum. Für die Entwicklung der Kunst des 20. Jahrhunderts ist dieser Gedanke essenziell. Speziell das Werk des amerikanischen Malers und Bildhauers Frank Stella, das ab September parallel in der großen Halle des Kunstmuseum Wolfsburg in einer großen Retrospektive zu sehen sein wird, schöpft aus der raumbildnerischen Qualität des Ornaments. Um diesem außergewöhnlichen Dialog der Form zu betonen, wird ein Kabinett innerhalb der Ausstellung den zeichnerischen Skizzen und Studien Frank Stellas gewidmet – dieses ist ab dem 8. September zugänglich. Seit 2006 unternimmt das Kunstmuseum Wolfsburg in seinen thematischen Ausstellungen immer wieder Sondierbohrungen in die Geschichte der Moderne, um gleichsam aus "ihrer Genetik" heraus inhaltliche Orientierungslinien für "Die Zukunft der Moderne im 21. Jahrhundert", so das wissenschaftliche Generalthema des Museums, zu destillieren: Mit dieser Schau greift das Museum erstmals über die Moderne hinaus in die Tradition, in die Epoche der Prämoderne.

Nirgends kann man die Veränderung der universellen Sprache der Form besser nachvollziehen als in der Entfaltung des Ornaments. Das Ornament war vor der Moderne der ästhetische Bereich, in dem die Abstraktion ihre Formexperimente entfalten konnte und in dem sie neben der Hochkunst, auch eine eigene Geschichte, eine "Kunstgeschichte ohne Namen" (Heinrich Wölfflin) entwickelte. Ab der Renaissance wird diese Geschichte im autonomem Genre des Ornamentstichs nun von Namen, von z.T. prominenten Entwerfern und Stechern, wie Albrecht Dürer, geschrieben.

Über die Jahrhunderte hinweg bildete sich im Ornamentstich eine eigene Stilgeschichte heraus, die ihre Ausprägungen in der sogenannten Groteske, im Beschlag- und Rollwerk, der Maureske, im Schweifwerk, der Kartusche, im Knorpelwerk, im Bandelwerk und der berühmten Form der Rocaille, einer charakteristisch geschwungenen doppelten S-Form, im Rokoko findet. Die Ornamentgrafik – das gedruckte Blatt ist von Beginn an aufs engste mit der Geschichte des Ornaments verbunden – kann sowohl reine Ornamente als auch jede Art der Anwendung von Ornamenten auf Gebrauchs- und Kunstgegenständen zeigen: vom Pokal und Schmuckanhänger über den Bilderrahmen, die Tapete und den Bucheinband bis hin zum Kamin oder Möbelstück, zur Wand- oder Deckengestaltung. Hier zeigt sich die universelle Kraft des Ornamentalen, das bis ins 18. Jahrhundert hinein ganze Dekorationsprogramme umfasste, die vor allem in der höfischen Kultur – etwa am Hofe Ludwigs des XIV. – eine große Rolle spielten.

Der Begriff "Ornament" ist vom lateinischen "ornamentum" abgeleitet und bedeutet unter anderem "Zierde" oder "Schmuck". Gegenstand der Ornamentgrafik sind Muster und Vorlagen für Ornamente, die im Kunsthandwerk (von Malern, Schreinern, Töpfern, Gold- und Silberschmieden) und in der Architektur ihre Anwendung fanden. In der Architektur kommen Ornamente als Säulen, Vasen oder Baluster, als Friese, an Kapitellen, an den Stirnseiten von Pilastern und innerhalb gerahmter Flächen vor. Die Ornamentik war immer auch ein Gebiet, in dem sich die künstlerische Fantasie über die zweckmäßige Kunstform hinaus und befreit vom engen Kanon der Hochkunst entfalten konnte. So kommt es immer wieder zu überraschenden und innovativen, manchmal auch zu sonderbaren bildhaften Erfindungen. Besonders in der Ornamentform der Groteske, die sich im 15. Jahrhundert in Italien nach dem Vorbild antiker römischer Wanddekorationen entwickelte, tummeln sich in einem architektonischen oder pflanzlichen Rahmenwerk oft Gestalten aus der antiken Mythologie oder Kinder mit Tieren, Früchten, Fratzen und skurrilen Mischwesen - halb Mensch, halb Tier oder halb Tier, halb Pflanze.

Zu den Motiven der Ornamentik gehören Termen (Pfeiler, die nach oben in eine menschliche Gestalt übergehen), Kandelaber (eine vielgliedrige Stütze, die einem Pflanzenstängel nachgebildet ist; auch Kerzenkandelaber), Vasen, Festons (Blumen- und Fruchtgirlanden), Trophäen, Füllhörner, Tierschädel, Delphine, Greifen, Sphingen, Eroten und Putten, Rosetten, Masken und Kartuschen. Dazu kommen als pflanzliche Ornamente Palmetten, Akanthus und andere Ranken und Blätter. Diese antiken Ornamente wurden von den Künstlern immer wieder nachgebildet, aber auch variiert und zu neuen Gestaltungen transformiert.

Ornament
Ausblick auf die Moderne
Ornamentgrafik von Dürer bis Piranesi
2. Juni 2012 bis 6. Januar 2013