ÖRGREECE

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verlieren überall an Reichweite. Sie befinden sich in einer Krise, nicht nur einer finanziellen. Ob in Österreich oder Deutschland, ob in Italien oder Griechenland. Die privaten Konkurrenten hinterfragen die Privilegien der Zwangsvergebührung. Die Öffentlich-rechtlichen argumentieren mit dem enorm wichtigen öffentlichen Auftrag, der für eine Demokratie unabdingbar sei.

Aber ihre Programme haben sich seit dem Erstarken der privaten Anbieter nicht verbessert, sondern angepasst. Außer einigen wenigen Nischen sind oft keine wesentlichen, vor allem qualitative Unterschiede zum seichten Unterhaltungsprogramm der Privaten auszumachen, weshalb ernsthaft zu prüfen ist, ob dafür eine Zwangsvergebührung gerechtfertigt ist. Immerhin muten unsere Demokratien den Bürgern nicht zu, eine öffentlich-rechtliche Zeitung abonnieren zu müssen. Beim Rundfunk ist es anders. Hier wirkt das alte Verständnis von Erziehung ein, hier beruft man sich auf eine Informationspflicht, Neutralität oder Objektivität, als ob es eine solche geben könne. Hier wird aber auch sichergestellt, dass Minderheiteninteressen im Programm (re)präsentiert werden, dass politisch nicht einseitig operiert wird. Stimmt das aber?

Dass die Privaten natürlich die Interessen ihres oder ihrer Eigentümer vertreten, ist klar. Die können sich im Politischen besonders stark auswirken; das horrible Beispiel Italiens, wo der Medienzampano Berlusconi nicht nur die Medienszene bestimmt, sondern erfolgreich Politik macht, ist abschreckend und besorgniserregend. Er berweist, dass man mit einem Medienapparat tatsächlich die Politik soweit bestimmen kann, dass auch gerichtliche Verurteilungen nicht zum Tragen kommen; bislang konnte Berlusconi nicht nur Regierungen führen oder platzen lassen, sondern jedes Urteil gegen ihn und sein Firmenkonglomerat mittels langwieriger Berufungsverfahren als nicht rechtskräftig in Schwebe halten. In der Zwischenzeit indoktriniert er das meist dumme Publikum.

Auch wenn sich das Programm der Öffentlich-rechtlichen kaum mehr von dem der Privaten unterscheidet, ist der Auftrag dennoch ein anderer, und es wäre Aufgabe der politischen Vertreter, dies stärker einzufordern bzw. sicherzustellen. Es wäre jedoch blauäugig, wenn jemand annähme, dass bei ihnen keine politisch motivierten Interventionen stattfänden.

Ich persönlich meine, es bedarf überhaupt keiner öffentlich-rechtlichen Anstalten mittels Zwangsfinanzierung. Die Gebührenhoheit gehört sofort abgeschafft. Wenn einem Staat daran gelegen ist zu erziehen oder zu informieren, soll er das über einen kleinen Sender mit seinen Mitteln machen. Das alte Modell der Zwangsversorgung widerspricht nicht nur dem Markt, sondern auch der Würde der Rezipienten. Denn es wird angenommen, private Unternehmen könnten den Bedarf nicht decken bzw. nur „falsch“. Ein Trugbild, wenn nicht eine Lüge. Stimmte die Annahme, müssten in vielen anderen Bereichen die Privatunternehmen eingeschränkt werden, müssten verstaatlichte Unternehmen den Markt bestimmen, weil es um das Wohl und Wehe der Öffentlichkeit geht.

Denn die wesentlichen politischen Auswirkungen erfahren (oder erleiden) die Staaten und ihre Öffentlichkeiten vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Wer diktiert denn die Bedingungen der Ökonomie, der Finanzen, der Steuern? Regierungen und staatliche Organe? Noch weitere Vernebelungsmärchen gefällig?

Die verfahrene Situation mit den öffentlich-rechtlichen Anstalten widerspiegelt eine Wertekrise und die Feigheit, mit offenen Karten zu arbeiten. Unterliegt doch dem Festhalten am öffentlich-rechtlichen Auftrag die Auffassung, dass das Publikum wegen seiner Unbildung, seiner kulturellen Depraviertheit, seiner Dürftigkeit, eines besonderen Angebots bedürfe, das es sich am freien Markt nicht suche und auch nicht erhalte. Das kommt einem Eingeständnis des Versagens der Bildung gleich. Denn Gebildete wären reif und verantwortlich in ihrer Wahl.

So einfach ist es aber nicht. Denn wenn es keine Wahl gibt, weil die Programme nicht vielfältig, sondern einfältig, gleichgerichtet sind, bewegen wir uns in einer Scheinwelt von Freiheit (die immer Wahlmöglichkeit voraussetzt). Doch diese Scheinwelt, dieser Trug, diese Chimäre bestimmt ganz wesentlich unsere Demokratien. Darum geht es: Den Eindruck, das "Gefühl" zu stärken, wir lebten in freien Demokratien, wir lebten in Gesellschaften, die bestimmte politische und kulturelle Werte beobachten und pflegen, die der Aufklärung entsprechen, welche erst Würde und Freiheit der Menschen ermöglichen.

Eine andere Auffassung spielt ebenfalls herein. Dass über Medien gesellschaftliche Realität geprägt bzw. zumindest stark beeinflusst werden könne. Das scheint auf der Hand zu liegen. Rechtfertigt das aber einen zwangsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk?

Als in Griechenland wegen der Finanzkrise die Regierung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der mit geringer Reichweite eigentlich ein Schattendasein fristete, aber enorm viel kostete, schloss, gab es Proteste. Nicht nur von der griechischen Opposition, sondern von vielen anderen, auch im Ausland. Die Demokratie sei gefährdet usw. usf. Was für ein Hohn. Die Demokratie wurde durch die politische Organisation, durch die systematische Korruption gefährdet. Aber das Symbol ist mächtig. Plötzlich geht es um mehr als bisher. Dieses Symbol zu stürzen war widerwärtiger, gewaltsamer, brutaler, als die Milliardenverschiebungen, die Gängelungen, die Bakschischkultur der Griechen. Die Schließung war ein Sakrileg.

Wenn durch verfehlte, ja kriminelle Politik Tausender Existenzen vernichtet werden, verweist man auf das böse Ausland, das die armen Griechen fertigmacht. Und macht irgendwie weiter. Man beugt sich dem Diktat der "Geberländer", mehr oder weniger. Wenn aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der, ähnlich wie in Österreich zur Zeit der "weißen Elefanten", disproportional viel Geld verschlingt und trotzdem nur wenige erreicht, geschlossen wird, stürzt alles ein. Da stimmen die Verhältnisse nicht. Da wird etwas irrational.

Es gibt durchaus Argumente für einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber es gibt keine tauglichen für eine Zwangsvergebührung. Wenn schon öffentlich-rechtliche Anstalten, dann ohne jenes Schundprogramm, das die Privaten zur Genüge (eigentlich Ungenüge wie Unmenge) liefern. Aber dann wäre vielleicht empirisch belegbar, dass trotz Zwangsfinanzierung die Zuschauer wegbleiben. Es ist doch kein Zufall, dass Bildungssender oder Informationssender wie PHOENIX nur eine vergleichweise geringe Reichweite aufzeigen.

Die Öffentlichkeit hat sich, entsprechend der technischen Entwicklungen, geändert. Wenn die Staaten sicherstellten, dass das Internet "frei" bleibt (eigentlich WIRD, denn es ist ja nicht frei), haben alle Seiten Gelegenheit für ihre öffentliche Kommunikation. Dass die wirkt, zeigen die Bemühungen fast aller Staaten, gegen das Internet vorzugehen, vor allem das Social Web (Türkei, arabische Staaten, Russland, China usw.).

Dass der sogenannte "freie Zugang" aber gerade die westlichen Regierungen, zuvorderst die Musterdemokratie und Leitmacht USA, gefolgt von Großbritannien, einlädt, darin eine Gefahr zu sehen und das Netz mit Milliardenaufwand zu kontrollieren, müsste doch nachdenklich machen. Freie Kommunikation? Was für eine Mär! Muss deshalb ein künstliches Gegengewicht, als symbolischer Ersatz, am Leben gehalten werden in Form der öffentlich-rechtlichen Anstalten?