NSA und kein Ende

Immer mehr kommt ans öffentliche Tageslicht über das schier unvorstellbare Außmaß der Ausspähungen durch die NSA, und immer dreister werden die Erklärversuche bzw. zynischen Zurückweisungen der amerikanischen Regierung bzw. republikanischer Repräsentanten, die fordern, man solle doch nicht so tun, als ob das nicht normal sei, weil auch die amerikanischen Verbündeten in den USA spionierten usw. usf. Gezielt wird der BND ins Spiel gebracht und seine Tätigkeit mit dem immensen Datenklau der Briten und Amerikaner nicht nur verglichen, sondern auf eine Stufe gestellt. Also: kusch, eh alles in der Norm!

Die Amerikaner haben viele Verbündete. Europa hat sich ausgeliefert, weil seine politischen Vertreter sei je dem Geschäftsmodell willig folgten, sich nach dem Zweiten Weltkrieg nie emanzipierten und sich unter dem Schirm des Big Brother sicher fühlten für ihre kostensparenden, lukrativen Umtriebe. Dafür zahlt man einen Preis. Ein Teil des Preises ist der Verlust der Souveränität, wie man sie den Völkern der jeweiligen Staaten weismacht. Mit einer Ausnahme. Deutschland ist nie wirklich souverän geworden. Die Sonderverträge Deutschlands mit der Siegermacht räumen dieser ein Kontrollrecht ein, das kein souveräner Staat gestatten würde. Aber erst durch diese Unterwerfung war ein staatliches Weiterleben möglich.

Den Amerikanern half ihre Zuspitzung des Kalten Krieges und das Schüren des alten, tiefen Hasses gegen Deutschland, das trotz unleugbarer Demokratisierung der verhasste Feind blieb, dem man nur solange „freundlich“ gegenübertrat, als es „spurte“ und kontrolliert seine Funktion im westlichen Bündnis erfüllte bzw. in den europäischen Gemeinschaftswerken, angefangen von der Montanunion über die EWG bis zur EU. Denn Europa hatte und hat die eine und alles beherrschende „Deutsche Frage“ – und diese wurde nie wirklich beantwortet. Zu kostbar war das Pfand, die kurze Leine, an der die Sieger einerseits und die Opfer andererseits interessiert waren und sind, trotz formaler Friedensverträge und offizieller Souveränitätswiederherstellung.

Deutschland ist nach wie vor besetzt, seine Goldreserven lagern bei „befreundeten“ Mächten, liegen außerhalb seiner Verfügbarkeit, und Deutschland bietet nach wie vor, je nach Bedarf, den Sündenbock, den Schuldigen, den Nazi, der als eigentlicher Schuldiger herhalten muss. Obwohl Deutschland devot und vorsichtig pragmatisch alles unternahem, nur ja nicht durch neue Stärke, außer im wirtschaftlichen Bereich, aufzufallen, wurde gerade diese wirtschaftliche Stärke zum Problem. Heute ist es mit Strafen bedroht, weil es zuviel exportiert. Als ob das kapitalistische Prinzip von den Deutschen anders praktiziert würde als in den anderen Ländern! Die Wirtschaftskritik fokussiert auf Deutschland, als ob es souverän wäre, auch im Wirtschaftlichen. Deutschland hat keine Freunde. Das Europa der EU ist keine wirkliche Union, sondern ein Geschäftsverband. Entsprechend den Geschäftsverläufen gestalten sich die Beziehungen. Und da fällt Deutschland negativ auf, obwohl kein Staat so lange so hohe Reparationszahlungen leistete wie eben dieser Pariah, der, entgegen den eigentlichen früheren Vorstellungen, doch zu stark wurde.

Hätten die europäischen Staaten nach dem letzten Großen Krieg gelernt, wie sie immer wieder betonten, dass man gelernt habe, hätten sie ein anderes, ein europäisches Gefüge gestaltet und die alten Feindschaften aufgegeben. Doch die Feindschaften wurden nur pragmatisch gemindert auf ein nützliches Arrangement. Bei jeder Krise reißt der dünne Schleier, der das verdeckt, kommen die hässlichen Bilder hoch, die alten Vorwürfe, die Rachegelüste, die Forderungen. Nicht nur finanziell.

Amerika hat ein tiefes Interesse daran, dass Europa nicht zu stark wird. Das beste Mittel war und ist die Aktualisierung der Deutschen Frage. Hinzu kommen die Bemühungen, die Türkei in die EU zu bringen, was die Mehrheitsverhältnisse einseitig kippte, die EU immens schwächte und die Stellung Amerikas wenigstens kurzfristig im globalen Machtpoker stärkte.

Seit die USA, obwohl immer noch die alleinige Supermacht, an Macht und Einfluss verlieren und an Schulden gewinnen, weil sie ihre Macht mehr und mehr auf Pump bauen müssen, da der Problemexport über Kriege, wie bislang, nicht mehr so direkt und einfach funktioniert wie in der Vergangenheit, ändern sie ihre Politik, müssen sie sie ändern. Vom Leitbild der freien Demokratie zum alles kontrollierenden Polizeistaat einerseits, vom Friedensbringer, den sie erfolgreich bisher vorgeben konnten, zum offenen Interventionisten, der nur da „nachgibt“, wo die Macht nicht (mehr) ausreicht. Und das scheint in immer weiteren Feldern der Fall. Das macht die Mächtigen nervös.

Amerika versucht, koste es, was es wolle, seinen Status zu halten. Sein politisches, das heißt auch sein militärisches Verhalten, kommt einem gigantischen Rückzugsgefecht gleich. Da gibt es nicht mehr so viel Raum für maskierende Offenheit und vorgebliche Freundlichkeit, da wird Klartext gesprochen und offener unilateral gehandelt. Das Bild ähnelt dem der Verrohung, die eine Gesellschaft unter Druck annimmt, durchmacht und zugleich intensiviert – und alle anderen, die mit ihr in enger Verbindung stehen, ansteckt bzw. ihnen aufzwingt.

Sprach man früher vom „hässlichen Amerikaner“ bzw. den negativen Zügen des „Amerikanismus“, meinte man meist die Auswüchse der kapitalistischen, konsumistischen Massenkultur. Wer die USA politisch kritisierte, war im Westen als „Antiamerikanist“ verschrien, was fast so tabu war, wie Antisemitismus.

Dass auch jetzt so wenig ernste Kritik an den USA erfolgt, ist nicht zuletzt der jahrzehntelangen Indoktrination im Namen der Freiheit, der Demokratie und Menschenrechte nach amerikanischen Vorbild geschuldet, der Kehrseite der Amerikanisierung. Die Orientierung nach des Herren Stimme hat nicht nur den Denkhorizont eingeengt und amerikanisch ausgerichtet, sondern auch die Politik entsprechend gestaltet. Das wirkt sich heute dramatisch aus.

Gewisse Forderungen gewisser deutscher Politiker nach Aufklärung der Ausspähungen seitens der NSA bzw. Änderung dieser „Politik“ sind publikumsorientierte Manöver. Dass sie zu keinen wirklichen Resultaten führen werden, liegt auf der Hand. Zu stark sind die Interessen der anderen europäischen Staaten mit der Leitmacht verbunden, zu tief sitzt der Hass gegen Deutschland in Europa verankert. Würden die wahren Machtverhältnisse offen gelegt, wäre das mühsam gezimmerte Konstrukt der EU in Gefahr. Die deutschen Regierungen wussten das, wie es die jetzige deutsche Regierung weiß. Die „befreundeten“ Staaten wussten und wissen das. Nur ein Teil des Publikums scheint es nicht zu wissen. Es wird getan „als ob“. In diesem „Krieg“ gibt es ungleiche Gewinner und Verlierer geben. Die USA setzen alles daran, ihre Gewinnmarge hoch zu halten. Auf wessen Kosten?