Northern Traces

Atemberaubende Ansichten unberührter Landschaft eines entlegenen Teils unserer Erde, im Licht der arktischen Sommernacht fotografiert, ohne Schatten: Olaf Otto Becker bringt von Exkursionen nach Island und abenteuerlichen Fahrten im Schlauchboot über die Eismeere Grönlands Bilder überwältigender Schönheit mit; Bilder, die in ihrer Ikonografie der Melancholie und Stille etwas von der Erhabenheit romantischer Landschaftsmalerei haben. Und zugleich sind sie durch den unbestechlichen Blick des Forschers und ihre exakte geografische Lokalisierung Zeugnis einer Zeit, in der Gletscher im erwärmten Klima verschwinden.

Seit über zehn Jahren bereist Becker den Norden Europas und geht dort auf Spurensuche. In einer umfassenden Retrospektive gibt das Stadthaus Ulm jetzt erstmals einen Überblick über das in diesen Jahren entstandene Werk des 1959 in Travemünde geborenen Landschaftsfotografen.

Seine ersten Exkursionen führten Olaf Otto Becker ab 1999 nach Island. Das Ergebnis war der Bilderzyklus "Under the Nordic Light", den er auch 2011 fortführte. Von 2003 bis 2006 fuhr Becker dann im Schlauchboot 4.000 Kilometer an der grönländischen Küste entlang. Entstanden ist die Bilderserie "Broken Line": Fotos von gewaltigen Felsen, tiefschwarzem Wasser und Eisbergen unter sanftem Licht, aber auch von kleinen, ärmlichen Siedlungen. Der daraus hervorgegangene Bildband wurde mit dem Deutschen Fotobuchpreis 2008 ausgezeichnet. Für sein Projekt "Above Zero" wanderte Becker über das Inlandeis Grönlands. Dort fotografierte er einige der unzähligen Gletscherbäche und -flüsse, die ihren Weg durch die Eisreliefs nehmen, bis sie wieder darunter verschwinden.

Becker arbeitet mit einer großformatigen, analogen Plattenkamera, die es ihm erlaubt, auch bei schwierigen Licht- und Witterungsbedingungen nuanciert und detailreich zu arbeiten. Seine Bilder fassen die Naturformationen aus kühlen Farben in kalkulierte Kompositionen: Weiß, Grau, intensives Türkis. Sie öffnen die Weite, führen den Betrachter aber auch ganz dicht an die Texturen von porösem Schnee und Eis und die Fließbewegungen des Eises. Melancholie, Erhabenheit und ein subtiles Moment von Abwesenheit prägen die Grundspannung dieser Landschaftsporträts, die in ihrer ästhetischen Anlage betont altmeisterlich anmuten.

Die Fotografien von Olaf Otto Becker loten so das zutiefst fragile Verhältnis von Mensch und Natur aus. Sie offenbaren die überwältigende Schönheit dieser Eislandschaft und dokumentieren zugleich deren existenzielle Bedrohung. Denn selbst in dieser vollkommen unbelebten Gegend hat der menschliche Einfluss fatale Folgen: Staub und Ruß aus der Luft lagern sich als schwärzliche Krusten ab, was zusätzlich zur globalen Erwärmung das Abschmelzen des Eisschildes noch beschleunigt – mit wohl unabwendbar katastrophalen Folgen.

Die drei im Hatje-Cantz Verlag erschienenen Bildbände "Under the Nordic Light. Iceland 1999 – 2011" (2011), "Above Zero" (2009) und "Broken Line" (2007) sind im Stadthaus erhältlich.

Olaf Otto Becker - Northern Traces
11. Dezember 2011 bis 18. März 2012