Nackte Männer. Von 1800 bis heute

Ausstellungen zum Thema Nacktheit haben sich bislang vorrangig mit Bildern unbekleideter Frauen beschäftigt. Seit 19. Oktober 2012 zeigt das Leopold Museum nun mit "Nackte Männer" eine längst überfällige Ausstellung zu Vielfalt und Wandel in der Darstellung nackter Männer von 1800 bis heute. Die Schau verfolgt das Thema über einen großen Zeitraum und spannt einen Bogen vom späten 18. Jahrhundert bis heute. In Summe vereint die Ausstellung ca. 300 Exponate von fast 100 Künstlerinnen und Künstlern aus Europa und den USA.

Die Ausstellung verfolgt das Thema vom späten 18. Jahrhundert bis heute. Sie hat drei Schwerpunkte: Die Epoche des Klassizismus und der Aufklärung um 1800, die Klassische Moderne um 1900 und die Kunst nach 1945. Den drei Schwerpunkten ist ein Prolog vorangestellt. Anhand von fünf herausragenden Skulpturen der europäischen Kunstgeschichte beleuchtet er die lange Tradition des Themas. Er spannt einen Bogen vom ältesten "nude in town" – einer unterlebensgroßen Standfigur aus dem alten Ägypten – über den "Jüngling vom Magdalensberg", Auguste Rodin und Fritz Wotruba bis zu einer Schaufensterpuppe, die Heimo Zobernig als Aktselbstbildnis umgearbeitet hat.

Die Emanzipation des Bürgertums und der Abgesang auf das Ancien Régime führen im späten 18. Jahrhundert von Frankreich ausgehend zu einer Neuverhandlung von Männlichkeitskonzepten, die sich sowohl gesellschaftlich als auch ästhetisch niederschlagen. Der nackte männliche Held wird als kulturelles Muster neu definiert. Er wird zur VerKörperung der neuen Ideale. Mit der ungezwungenen Darstellung von nackten, badenden Männern in Freier Natur entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts eine neue und eigenständige Bildwelt. Der unterschiedliche künstlerische Umgang mit diesem Thema wird zu einem besonders feinfühligen Seismographen gesellschaftlicher Befindlichkeiten. In der Ausstellung ist es durch Werke von Paul Cézanne, Edvard Munch, Wilhelm von Gloeden, Max Liebermann, Ernst Ludwig Kirchner u.a. prominent vertreten.

Die Suche der klassischen Moderne nach einer neuen künstlerischen Basis schlägt sich auch bei den Themen Nacktheit und Männlichkeit nieder. Was passierte jedoch, als der Blick des Malers vom nackten Vis-ávis zum entblößten Ich weiterwanderte und im Künstlerselbstakt ein Fanal der Moderne entstand? Ein Kronzeuge dafür ist in Wien um 1900 Egon Schiele. Mit seinen tabulosen Selbstbespiegelungen radikalisiert er wie kein zweiter vor ihm das Künstlerselbstbildnis. Angesichts der Fülle möglicher interessanter Positionen konzentriert sich die Ausstellung innerhalb des 3. Schwerpunktes auf drei Brennpunkte. Ihnen gemeinsam ist das Ausloten des politischen Potentials des nackten Körpers. Der erste Fokus rekurriert auf den Kampf der Frauen um ihre rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung im 20. Jahrhundert.

Herausragende Beispiele für die intensive Auseinandersetzung feministischer Künstlerinnen mit dem eigenen Körper als Projektionsfläche der Geschlechterrollen finden sich im Werk von Maria Lassnig oder Louise Bourgeois, deren Werke ebenso wie jene von Künstlerinnen der jüngeren Generation in der Ausstellung vertreten sind. Die Wegbereiterinnen wie Lassnig und Bourgeois sind es die dazu führten, dass feministische Kunst heute in Bezug auf Deutungshoheit, Ressourcen, Normen, Macht und Teilhabe am Kunstbetrieb immer stärker vertreten ist. Im zweiten Fokus werden künstlerische Positionen vorgestellt, die mit der feministischen Kritik durchaus vergleichbar Protestkultur und Künstlerselbstakt verschränken. Das nackte Ich zwischen Norm und Aufbegehren.

Zum einen geht es um das Aktselbstbildnis als Experimentierfeld und Schauplatz künstlerischer und gesellschaftlicher Identitätsbefragungen. Zum anderen um substantielle Beiträge zur Genderdebatte und um Künstler, welche die Krise überkommener Männerbilder als Chance für selbstdefinierte Identitätsbehauptungen verstehen. Der dritte Fokus liegt schließlich bei der Rollenverschiebung, als der Mann vom Subjekt zum Objekt, gerade auch zum erotisch besetzten Objekt wurde – eine der vielleicht grundsätzlichsten Verschiebungen in den Darstellungsformen nackter Männer von 1800 bis heute. Gerade die schwule Emanzipation zog normative Männlichkeitskonzepte radikal in Zweifel, denen sich eigene Alternativmodelle entgegen setzten. In der Ausstellung vor allem als Bilder intimer Nähe und von Männerpaaren vertreten.

Katalog: "Nackte Männer. Von 1800 bis heute." Herausgegeben von Tobias G. Natter und Elisabeth Leopold; 348 Seiten, 196 Tafeln und 95 Abbildungen in Farbe, 17 Tafeln und 35 Abbildungen in Schwarz-Weiß. Format: 24,5 × 29 cm, gebunden , dt. und engl. ISBN 978-3-7774-5791-8, EUR 39,90

Nackte Männer. Von 1800 bis heute
19. Oktober 2012 bis 4. März 2013