Musikalische Passagen durch sehr besondere Locations in Wien

Die Konzerte beim 25. Internationalen Akkordeonfestival suchte ich diesmal nach Aufführungsorten aus und machte wirklich interessante Entdeckungen: im Ehrbar Saal, im Lorely Saal, beide neu erstrahlt, im Kulturcafé Frau Mayer und im Schutzhaus zur Zukunft auf der Schmelz. Das Filmcasino gehört wiederum schon zu meinem Repertoire bei Wienaufenthalten,denn das atmosphärische Arthouse-Kino zeigt Filme meist in Originalfassungen. 

Die Stummfilm-Matinee ebendort hat beim Akkordeonfestival auch Tradition, und diesmal gab es den schaurigen Psychothriller "Das Cabinet des Dr. Caligari" (1919) zu sehen. Da versetzt der wahnsinnige Dr. Caligari mit Hilfe eines mordenden Somnambulen namens Cesare eine Stadt in Angst und Schrecken. So spannend, und man beginnt schon an den Fingernägeln zu kauen, wenn dieses expressionistische Filmkunstwerk von Stefan Sterzinger mit Akkordeonklängen und Franz Schaden am Kontrabass aufgeladen wird. Es entsteht ein unentrinnbarer Klangraum – so pur-modern und konzentriert-emotional – mit den faszinierenden Bildern und zieht einen hinein in diese dramaturgisch wirklich gut gemachte Story. Ganz großes Kino!

In Geh-nähe und gleich anschließend am Sonntagnachmittag luden die Wiener Musikschulen zum Konzert in den Ehrbar Saal. Auch das ist bereits schöne Tradition, jungen Talenten eine Bühne zu bieten. Von ersten Soloauftritten der Jüngsten, über Kammermusikalisches, bis zum Akkordeonorchester wurde von Bach, Scarlatti, John Williams, Astor Piazzolla, Pop, Folk und Filmmusik durchwegs Virtuoses geboten.

Der Klavierfabrikant Friedrich Ehrbar ließ diesen Saal 1876 – beim Bürgertum waren Konzertbesuche hoch in Mode, deshalb entstanden Mitte des 19. Jahrhunderts einige davon – im Stil der italienischen Hoch-Renaissance mit römischem Einfluss für etwa 400 Personen errichten. Die Weltkriege verschonten den Ehrbar Saal nicht. Er wurde zweckentfremdet, diente als Lazarett, Lagerraum, zeitweise sogar als Tierstall, Möbelmagazin und später auch als Kunst-Auktionshaus. 1946 wurden die Musikräumlichkeiten und Säle in ihrer ursprünglichen Form und die historisch wertvollen Stuckvergoldungen wiederhergestellt. Im Mai 2021 übernahm die Klaviermanufaktur C. Bechstein die Räumlichkeiten, renovierten sie unter strengen Denkmalschutzbestimmungen und gaben diesen außergewöhnlich schönen Saal der Wiener Kulturszene zurück.

Ähnliche Geschichte beim Loreley Saal: Dieser Prachtsaal wurde 1899 erbaut, nach dem Ersten Weltkrieg nutzte ihn die Arbeiterbewegung für Bildungs- und kulturelle Veranstaltungen. In den 1980er Jahren stand das Bildungsheim für Theaterproduktionen in den Außenbezirken zur Verfügung, bevor der Saal in Vergessenheit geriet. Wiederentdeckt wurde er von Aimée Klein und Hannes Eder, der darunter sein Tonstudio hatte. In Privatinitiative (ohne Subventionen!) renovierten sie den Jugendstilsaal mit der prachtvollen Stuckdecke und seiner außergewöhnlich guten Akustik. Augenscheinlich üppig ist die technische Ausstattung ausgefallen, die wohl alle Stücke spielt, doch neben den unzähligen Trägern, Schienen, Licht- und Soundspots haben es sogar die wunderschönen Kronleuchter schwer, sich durchzusetzen. Berauschend präsent allemal das Upper Austrian Orchestra in diesem Ambiente, das sich erst vor kurzem unter Leitung von Johannes Münzner formiert hat, und das Publikum auf eine symphonische Reise unterschiedlicher Stile führt, mit Originalkompositionen für diese Besetzung, aber auch mit bekannten Melodien, die man so noch nicht gehört hat.

Eine Entdeckung im Ersten Bezirk ist Frau Mayer. In diesem Lokal sollen "bedeutungsvolle soziale und kulturelle Erfahrungen" ermöglicht werden. Dazu organisiert der Kulturverein Konzerte und bietet seinen Besuchern im Rahmen von Jam Sessions die Möglichkeit, sich mit anderen auszutauschen und sich inspirieren zu lassen. Mit einer „Carte Blanche“ schickte das Akkordeonfestival Nikola Zaric (Akkordeon), Georg Schmelzer-Zieringer (Kontrabass) und Gerhard Zeilinger (Schlagzeug) ins Kulturcafé Frau Mayer. Innovative Ansätze und maximale Überraschungsmomente garantiert: Jam Session mit Akzent am Akkordeon, begleitet von der Rhythmusgruppe, an jedem Tisch Kopfhörer als Hi-Fi Installation für neue individuelle Klangerlebnisse.

Und zum Schluss noch hinaus, zum Schutzhaus zur Zukunft. Die Schmelz hat eine ganz eigene Geschichte. Bis zum 19. Jahrhundert war das Areal eine locker besiedelte Vorortgegend, erst nach 1850 wurde die Fläche bewusst von Bebauung freigehalten, für Friedhof und Exerzierplatz. Nach dem Ersten Weltkrieg entstanden dort erste Wohnsiedlungen des Roten Wien, und die Genossenschaft "Zur frohen Zukunft" legte eine ausgedehnte Kleingartenkolonie an. 1973 breitete sich das Universitäts-Sportzentrum mit weitläufigen Sportanlagen dort aus. Das Schutzhaus zur Zukunft liegt inmitten des Kleingartenvereins auf der Schmelz und bietet neben typischer Wiener Küche (riesiger Gastgarten) einen großen Veranstaltungsaal. Da kommt Stimmung auf, wenn sich die Gäste schon Stunden vorher einfinden und an den endlos langen Tischreihen deftig speisen. Der keltische Frühlingsabend hat beim Internationalen Akkordeonfestival ebenfalls Tradition und fällt zusammen mit der 24th Guinness Celtic Spring-Tour. Es eröffneten Gormlaith Maynes mit einer Concertina (schaut aus wie ein Mini-Bandoneon) und Jennifer Leahy an der Irish Harp. Es folgten große Namen der keltischen Szene mit der Flötistin und Sängerin Steph Germia, Akkordeon-Guru Dermot Byrne und Bouzouki-Meister Aaron Jones.

Veranstaltungen in spannenden Locations wird es mit den neuen Intendantinnen Lisa Reimitz und Franziska Hatz beim Akkordeonfestival bestimmt weiterhin geben, und genauso zu erwarten beim Musikalischen Adventkalender und dem KlezMORE Festival, für welche die beiden ebenfalls die Leitung übernommen haben. 

 

25. INTERNATIONALES AKKORDEONFESTIVAL 2024
24. Februar bis 17. März 2024

Ehrbar Saal (Mühlgasse, 1040)
Nachwuchskonzert Musikschulen Wien, Milos Todorovski

Lorely Saal (Penzinger Straße, 1140)
Upper Austrian Accordion Orchestra, Leitung Johannes Münzner

Filmcasino (Margaretenstraße, 1050)
Stummfilm-Matinee „Das Cabinet des Dr. Caligari“
Stefan Sterzinger (Akkordeon), Franz Schaden (Kontrabass) 

Frau Mayer (Rudolfsplatz, 1010)
Carte Blanche & Session mit Nikola Zarić 

Schutzhaus Zukunft (auf der Schmelz)
24th Guinness Celtic Spring

Gormlaith Mayne (Konzertina) & Jennifer Leahy (Harfe)
Steph Geremia (Gesang, Flöte), Dermot Byrne (Akkordeon), Aaron Jones (Gitarre, Bouzouki)