Matsch und Munition – Im Westen nichts Neues

In seinem 1928 erschienenen Roman "Im Westen nichts Neues" beschreibt Erich Marie Remarque das Leben und Sterben im ersten Weltrkieg. Der Titel bezieht sich dabei die Westfront im beligischen Flandern, an welcher sich die Frontlinie im Kriegsverlauf kaum verlagerte und welche so zu einem sinnlosen Stellungskrieg erstarrte. Remarque verarbeitete dabei neben eigenen Erfahrungen vorwiegend die Erzählungen verwundeter Soldaten, die er im Lazarett kennengelernt hatte, fügte aber auch frei erfundene Episoden hinzu.

Schon zwei Jahre nach Veröffentlichung wurde der Roman von Hollywood verfilmt, Regie führte dabei Lewis Milestone, welcher selbst im ersten Weltkrieg in der Foto- und Film-Kompanie der US-Army diente.

1979 wurde das Buch unter der Regie von Delbert Mann als US-amerikanisch-britische Koproduktion erneut für das Fernsehen adaptiert. Doch es mussten beinahe 100 Jahre vergehen, bevor es unter der Regie von Edward Berger zur ersten deutschen Filmadaption kam. Unter dem Titel "Im Westen nichts Neues" feierte dieser Film beim Toronto International Film Festival seine Premiere, kam Ende September 2022 in die deutschen Kinos und Ende Oktober 2022 in das Programm von Netflix.

Kugelhagel

Zum Inhalt: Paul Bäumer und seine Kameraden haben gerade ihr Abitur erfolgreich abgelegt, in Friedenszeiten stünde ihnen die Welt offen. Doch die feurigen Reden der Lehrer überzeugen die jungen Burschen von der angeblichen Notwendigkeit der Kriegsanstrengung und so lassen sie sich rekrutieren. Bald stellt sich die Westfront nicht als das erhoffte Abenteuer heraus sondern als der blanke Wahnsinn.

In der Hauprolle des Paul überzeugt der 1995 geborene Österreicher Felix Kammerer. Für sein Schauspiel am Burgtheater im britischen Stück "Mosquitos" erhielt der junge Mime 2022 den Nestroy-Theaterpreis für die beste männliche Nebenrolle. Im Schützengraben auf der Kinoleinwand überzeugt Kammerer durch Understatement und gerade durch das Fehlen von theatraler Mimik: In den starren Augen spiegelt sich die Brutalität des Krieges schon eindrücklich genug.

Der Film startet dabei in medias res: Gemeinsam mit einer Gruppe junger Soldaten gleitet die Kamera über das Schlachtfeld. Anders als im Kriegsfilmklassiker "Der Soldat James Ryan" dröhnt keine euphorische Musik, der Schützengraben ist kein Orchestergraben. Meist kommen nur kurze, dunkle, reprisenhafte Orgelmotive zum Einsatz. Die Klänge des Schlachtfeldes dominieren die Tonebene: Explosionen, Gewehrsalven, Blut- und Dreckspritzer. Die Inszenzierung ist atemlos, die Brutalität ebenso, all das ungeschönt und ungeschnitten.

Bereits im Jahr 2019 setzte Regisseur Sam Mendes der britischen Perspektive auf die Westfront mit dem Film "1917" einen Gedenkstein, der Brite setzte schon damals auf das immersive Filmerlebnis ohne sichtbaren Bildschnitt. Ganz so dogmatisch geht Edward Berger bei seiner Neuadaption nicht vor, doch auch in „Im Westen nichts Neues“ wird der langsame Stellungskrieg vorrangig durch lange und durchgehende Einstellungen dargestellt, die Kamera bleibt dabei immer nahe am Stahlhelm der Protagonisten und selbst mitten im Geschehen.

Die jungen Soldaten sterben wie die Fliegen. In einer kurzen Montagesequenz wird der Ablauf auf dem Schlachtfeld lapidar gezeigt: Einsammeln der Leichen, Waschen der Uniformen, flicken der Einschusslöcher, zurück an den Start: Als Hauptfigur Paul Bäumer seine Ausrüstung übernimmt, wundert er sich über das fremde Namensschild im Jackenrever. Er begreift nicht, dass der Vorbesitzer in diesen Stiefeln gestorben ist.

Die Austauschbarkeit der Soldaten bleibt Hauptthema des Filmes. Kaum einer der Kameraden aus Pauls Abiturklasse, die im Verlauf der Handlung fortlauend sterben, bleibt dem Publikum im Gedächnis, die Figuren werden zum Kriegsmaterial und Kanonenfutter. Die Tode werden bei aller Grausamkeit austauschbar. Anders als in der Buchvorlage verlassen wir nie die Geschehnisse der Kampfhandlungen, müssen nicht mit Paul im Fronturlaub erkennen, was das Leben des Soldaten mit der Privatperson Paul macht, erleben nicht seine Unfähigkeit im Alltag zuhause. Stattdessen peitscht uns der Film in seiner fragemtenarischen Erzählweise von einer brutalen Szene in die Nächste.

Im jähen Kontrast dazu steht die zweite Erzählebene, die in der Buchvorlage so nicht vorkommt. Wir verfolgen die Friedensverhandlungen des (realen) Diplomaten Matthias Erzberger, dargestellt durch Daniel Brühl, ebenso wie jene strategischen Planungen des fanatischen (und fiktiven) Generals Friedrich, gespielt von Devid Striesow.

Diese beiden hierarchisch höher gestellten Charaktere sollen im Vergleich zum kleinen Soldaten im Schützengraben wohl eine herrschende Klasse darstellen, verkommen aber zu Karikaturen ihrer Funktion. Der Diplomat will das Töten schnellstmöglich beenden, der General es noch weiter in die Länge ziehen: "Nur ein paar Monate noch, dann kommt der nächste Jahrgang!"

Preisregen

"Im Westen nichts Neues“ gewann im Mitte März 2023 ganze vier Oscars und ist damit der bisher erfolgreichste deutsche Beitrag bei den Academy Awards. Die Neuverfilmung des Romans wurde in neun Kategorien nominiert, ausgezeichnet wurde das Kriegsdrama schließlich mit vier Oscars in den Kategorien bester internationaler Film, beste Kamera, beste Filmmusik undbestes Szenenbild.

Er ist damit einer von bislang vier nicht englischsprachigen Filmen die mit vier Oscars ausgezeichnet urde – das schafften bisher "Fanny und Alexander" von Ingmar Bergmann im Jahr 1982, "Tiger and Dragon" aus China (2000) und vor 4 Jahren die koreanische Produktion "Parasite".
Der Antikriegsfilm bricht mit seinen vier Oscars Rekorde: Soviele Auszeichnungen errang noch kein deutscher Film zuvor. Einen Rekord stellt die Anzahl der Goldjungen ebenso für den Streamingdienst Netflix dar, welcher als Produktionsfirma fungierte.
Auf Netflix ist "Im Westen nichts Neues" auch weiterhin zu sehen.