Lill Tschudi und Franz Čižek - Verhältnisse von künstlerischer Praxis und Lehre im 20. Jahrhundert

Die Ausstellung in der Universitätsgalerie der Universität für angewandte Kunst Wien in der Wiener Innenstadt ermittelt Verhältnisse von künstlerischer Praxis und Lehre im 20. Jahrhundert, indem sie zwei Figuren auf besondere Weise in Dialog setzt. Im Zentrum der Zusammenstellung steht das druckgraphische Werk der Schweizer Künstlerin Lill Tschudi (1911–2004), das im Rahmen einer Kooperation der Angewandten mit der Graphischen Sammlung ETH Zürich erstmals in Österreich gezeigt wird. Die Wiener Schau erweitert diese monografische Perspektive, indem sie Bezüge von Tschudis Arbeiten und den Beständen von Kunstsammlung und Archiv der Universität, die die Reformpädagogik des in Wien lehrenden Künstlers Franz Čižek (1865–1946) dokumentieren, untersucht.

Tschudi und Čižek werden dafür als exemplarische künstlerische Positionen im Europa der Zwischen- und Nachkriegszeit betrachtet, in der sich Aspekte der angewandten und bildenden Kunst sowie von Abstraktion und Figuration gegenseitig durchdringen. Sowohl Tschudis künstlerische Arbeiten als auch Čižeks Pädagogik sind mit der Entwicklung des modernen Farbdrucks ebenso wie mit Reformtendenzen in Gesellschaft und Pädagogik und der Entdeckung der "Kunst der Kinder" um 1900 verknüpft. Lill Tschudi studierte 1929 an der Londoner Grosvenor School of Modern Art bei dem britischen Künstler Claude Flight (1881–1955) Linolschnitt. Flight integrierte nach einer persönlichen Begegnung mit Čižek dessen Ansätze in den eigenen Unterricht. In der Einleitung seines 1934 erschienenen Buchs "The Art and Craft of Lino Cutting and Printing", das er mit Linolschnitten von Kindern und Arbeiten seiner Studierenden gleichermaßen illustrierte, nennt er Čižeks Arbeitsweise als Vorbild für eine vom künstlerischen Tun von Kindern abgeleitete Suche nach Ausdruck und "emotionaler Organisation". Čižeks Haltung und Arbeitsmethoden in seiner 1903 gegründeten und später in die Wiener Kunstgewerbeschule eingegliederte Jugendkunstklasse gewannen insbesondere im angloamerikanischen Raum früh an Ansehen; in zahlreichen internationalen Wanderausstellungen gingen Arbeiten seiner Schüler:innen auf Tournee. Die Klasse war darauf ausgerichtet, Kinder und Jugendliche in unterschiedlichsten Techniken und Materialien zu unterrichten sowie in gemeinsamen Besprechungen selbsttägig die eigene kreative Entfaltung zu ermöglichen.

Die Ausstellung untersucht den neuen Status der künstlerischen Arbeit von Kindern als eigenständige, vorbildhafte und ausstellungswürdige Praxis und die Funktion vergleichsweise einfacher Techniken wie die des Linolschnitts, wie sie in Čižeks und Flights Lehre sowie in Tschudis künstlerischer Praxis etabliert und genutzt wurden, in ihrem Verhältnis zu gesellschaftlichen Transformationen und künstlerischen Neuerungen. Neben der Relevanz publizierter Druckgrafiken für Tschudis Entwicklung – etwa jene von Norbertine Bresslern-Roth (1891–1978), deren Tierdarstellungen sie vermutlich über die Jugendrotkreuz-Zeitschrift kennenlernt – und dem Kontext der Wiener sozialdemokratischen Bildungsreform interessieren mögliche "stilistische Ansteckungen" (Barbara Wittmann), Verwandtschaften und Übersetzungen, die der institutionellen Umgebung der Jugendkunstklasse geschuldet waren. Das Interesse Čižeks für sogenannte "Volkskunst" oder die Druckgrafik der Wiener Werkstätte überschnitt sich beispielsweise mit einer von ihm angeregten eklektischen Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Avantgardebewegungen wie dem Futurismus oder dem Kubismus, über die sich die Studierenden seiner Kurse für "Ornamentale Formenlehre" Problemen von Bewegung, Raum und Zeitlichkeit näherten. Vergleichend wird nach der Rolle des britischen Vortizismus für die Grosvenor School für das Werk Lill Tschudis gefragt, das neben einigen Aquarellen und Gemälden mehr als 450 Linolschnitte umfasst, die von dynamischen Darstellungen großstädtischer Alltagszenen, Sport- und militärischen Sujets charakterisiert sind.

In der Ausstellung "Lill Tschudi – Franz Čižek. A delightful sort of game" werden personelle, historische und formale Bezüge zwischen Lill Tschudis und Franz Čižeks Praktiken mittels spielerischer Schichtungen und Querschnitte lesbar gemacht und in ihrem Verhältnis zu internationalen Formationen und Fragestellungen der Moderne diskutiert.

Die Ausstellung bezieht sich auf die Schau Lill Tschudi. Die Faszination des Linolschnitts 1930–1950, die 2021–22 an der Graphischen Sammlung ETH Zürich zu sehen war.

Lill Tschudi – Franz Čižek. A delightful sort of game
Bis 16. Dezember 2023
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Samstag, 14 bis 18 Uhr. Eintritt frei.
Ort: Universitätsgalerie der Angewandten im Heiligenkreuzerhof, 1., Schönlaterngasse 5