"L'appartenenza" - die Zugehörigkeit

16. April 2014 Rosemarie Schmitt
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"Man kennt aus der Geschichte, dass nicht alle Kinder ihren Platz am Familientisch finden. Für diese Kinder wird es Tag für Tag klarer, dass es für sie keinen anderen Weg gibt als das Exil (...)" In Pollinas Geschichte machte sich das Kind auf in ein anderes Land, das tun viele, solche Geschichten kennen wir, erfahren von ihnen durch Zeitungen, Funk- und Fernsehen. Exil bedeutet laut Duden ein langfristiger Aufenthalt außerhalb des Heimatlandes. Der aus dem Lateinischen stammende Begriff Exilium (zu ex(s)ul) bedeuted: in der Fremde weilend. Und diese Fremde erleben viele, von denen nicht berichtet wird, im Heimatland, in der Familie, im Haus der Eltern, am Küchentisch.

"(...) Das Exil ist ein Ort, wo man die Bedeutung der Einsamkeit begreift. Es ist der Ort, wo man lernt, in der Distanz zu wohnen und alles von einem priviligierten Hügel aus zu sehen. Der Hügel ist ein Privileg und in Stein gemeisselte Traurigkeit. Denn jedes verunsicherte Kind träumt, von seinem Vater umarmt zu werden und nicht davon, dass ihm ein Fremder bewundernd auf die Schulter klopft. Dieses Kind wird eines Tages ein junger Mann, der mit dieser Leere aufwächst, die sein Land oder seine Familie in ihm zurückgelassen haben (...)" In jenem Falle wird es Pippos Vater gewesen sein, in anderen Fällen sind es die Mütter, oder gar beide. Pippo Pollinos Songs beziehen sich also nicht nur auf jene, die ihr Land verließen, sondern sprechen ebenso all jene an, die von ihren Familien verlassen wurden, trösten jene, deren Eltern nicht zugehört haben, Zugehörigkeit verweigerten.

"(...) Das Exil ist aber auch der Ort, wo der Suchende bedeutende Antworten findet, die frei sind vom Urteil und den Einflüssen der anderen. Im Exil begegnet er Neuem, das ihn begeistert, aber auch anderem, was ihm nicht gefällt. Die neue Welt kann ihn willkommen heissen, sein Anderssein begrüssen und ihm Anerkennung schenken. Manchmal kann sogar der Erfolg an seine Tür klopfen (...)" An Pippo Pollinos Tür klopfte der Erfolg, und Pippo öffnete, ließ ihn hinein. Die beiden lernten sich kennen, hörten einander zu, mochten sich sehr, verstanden sich hervorragend und verbrachten seither viele wundervolle, glückliche gemeinsame Zeiten - Pippo und der Erfolg in jener neuen Welt.

"(...) Was die neue Welt ihm niemals geben kann, ist echte Zugehörigkeit. Wie ein verlassenes Haus, das man nicht mehr findet, eine Strasse, die man nur einmal befährt, die dann Erinnerung wird. Es gibt Geschichten, die wir gelebt haben, die sich im Wind verloren. Für immer."

Wenn Sie nun aufgrund jener Zeilen eine schwermütige, traurig machende Musik vermuten, so befinden Sie sich auf dem Holzweg, denn die Musik des neuen Albums "L"appartenenza" ist herrlich italienisch, alles andere als hölzern, ist rhythmisch, bestens geeignet für Ohrwürmer und jene, die ihnen Unterschlupf gewähren. Dies wird Ihnen bereits der erste Titel nach dem Intro (welches indes Tiefgründigkeit ankündigt) beweisen. Sie werden Mare Mare Mare hören und sich seinem Rhythmus kaum entziehen können. Vielleicht werden Sie (wie ich) ein paar Worte Italienisch verstehn und wissen, das Pippo Pollina vom Meer singt, doch hinter dieser Musik, im begleitenden Text steckt viel mehr als Meer.

Ein Liedermacher, so heisst es, sei er, dieser Pippo Pollina. Ein Star, der es gar schaffte, im vergangenen Jahr zehntausend Menschen in der Arena von Verona zu begeistern. Doch Pollina ist mehr als ein Liedermacher, er ist ein Mut-und Hoffnungmacher, ein Poet, ein nicht mit dem Strom schwimmender, ein Mensch mit Rückgrat, Moral und Prinzipien, ein Mensch der vieles verstanden hat und er ist ein genialer Musiker.

Der 1963 in Palermo geborene Pollina studierte einst Jura. Als politischer Journalist, so hatte er sich vorgenommen, wollte er sich gegen die Mafia engagieren. Doch schnell begriff er, dass er sein Ziel so nicht würde erreichen können. Nicht genügend Menschen, und schon gar nicht die richtigen, hörten ihm zu, lasen und verstanden, was er zu sagen hatten. Also entschied er sich für einen anderen Weg, begann, was er zu sagen hatte, zu singen. Nun singt er von den Toten der Mafia, von Liebe, Leid und den Tragödien unserer Gesellschaft.

Pippo Pollinas neues Album heisst "L"appartenenza" - die Zugehörigkeit! (Label: Jazzhaus Records / in-akustik / ASIN: B00G75BKXS)

Pippo Pollinas Texte sind gute, sehr gute Gründe die italienische Sprache zu lernen. Dies wird der erste Schritt sein, der zweite wird sein verstehen zu lernen. Sie müssen jedoch keinen Italienischkurs besuchen bevor Sie "L"appartenenza" hören, denn zum einen ist die Musik auch ohne den Text zu verstehen, ein wirklicher Genuss, zum anderen enthält das Booklett sowohl die italienischen Texte als auch deren deutsche Übersetzung.

Molto cordiale,
Sua Rosemarie Schmitt