The Lack of the Other

Obgleich ihre Bedeutung für die Kunstwelt unbestreitbar ist, sind sie scheinbar dennoch in Vergessenheit geraten: die Brüder Francesco Lo Savio und Tano Festa. Seit Anfang der 1960er Jahre gehörten sie zu den Vorreitern einer neuen Künstlergeneration, welche Informel, Tachismus sowie den Abstrakten Expressionismus als Kunst des gestischen Ausdrucks durch ein neues Kunstkonzept ablöste, das sowohl auf die neue visuelle Massenkultur wie industrielle Massenproduktion reagierte.

Noch vor dem Aufkommen der Pop Art und der Minimal Art konfrontierten sie die schöpferische Geste des Künstlers mit den Prinzipien der industriellen Produktion und schufen Werke, die dem Zeitgeist immer einen Schritt voraus waren.

Die Ausstellung "Francesco Lo Savio – Tano Festa. The Lack of the Other" zeigt Gemälde und Objekte, die in ihrer ästhetischen Wirkung grundverschieden erscheinen und dennoch erstaunliche Parallelen in ihrer künstlerischen Grundauffassung – im Sinne einer Leidenschaft – offenbaren. Francesco Lo Savios (1935-1963) erste künstlerische Schritte sind bisher wenig erforscht. Das Werk seiner etwa letzten fünf Lebensjahre weist eine immense Dichte und Intensität auf. In seiner Arbeit kristallisiert sich deutlich ein Streben nach architektonischen Strukturen, nach Genauigkeit des Signums und Transparenz des zugrunde liegenden Projekts heraus. Die Entpersönlichung von Urheber und Objekt der Schöpfung war sein Ziel.

Der jüngere Bruder Tano Festa (1938–1988) erfuhr international bisher weniger Aufmerksamkeit, obwohl er zur Biennale in Venedig und zur documenta in Kassel eingeladen war. Fälschlicherweise gilt Tano Festa als Schlüsselfigur der europäischen Pop-Art, eine Definition, die ihn in ein zu enges Schema presst und die er selbst mit einer berühmt gewordenen Stellungnahme zurückwies: "Wenn Michelangelo in Italien als Pop angesehen werden darf, so wie Coca-Cola in Amerika, ist es auch in Ordnung von Europäischer Pop-Art zu sprechen."

Die Brüder stellten bis zum Tod von Lo Savio 1963 regelmäßig gemeinsam aus, Francesco Lo Savio u.a. auch 1961 in der Galerie Rottloff in Karlsruhe. Tano Festa starb 25 Jahre später. Er thematisierte während seines gesamten Schaffens, in den ihm typischen unregelmäßigen Abständen, die Abwesenheit seines Bruders – "The Lack of the Other".

Die Kuratoren Freddy Paul Grunert und Peter Weibel setzen in dieser Ausstellung den Fokus auf das Schaffen der beiden Künstler in den ausgehenden 1950er- und beginnenden 1960er-Jahren – einer Zeit der außerordentlich intensiven Reflexion, des Umbruchs und der Neuorientierung in Kunst, Technik und Gesellschaft. Die Ausstellung "Francesco Lo Savio – Tano Festa. The Lack of the Other" bietet somit Raum für eine generelle Betrachtung der künstlerischen Errungenschaften in dieser Zeit.

Des Weiteren widmet das ZKM | Museum für Neue Kunst dem Sammler Giorgio Franchetti ein Kabinett, das die Ausstellung komplettiert. Franchetti war nicht nur der größte Sammler Tano Festas, sondern den beiden Künstlern stets Freund und bevorzugter Gesprächspartner.

Die drei Kinder Franchettis − Marion, Carlo und Pietro Arco Franchetti, Ko-Kuratoren dieses speziellen, dem Vater gewidmeten Ausstellungsteils − wahren und fördern diese Sammlung als das Ergebnis einer aufmerksamen und leidenschaftlichen Recherche und als einen Werkkomplex, für den sich eine kohärente Leseart der Kunstgeschichte empfiehlt. Derzeit befindet sich der bedeutendste Teil der Sammlung Franchetti zeitgenössischer Werke in seinem Haus in Rom, doch der Kunstinteressierte kann in der renommierten Cà d’oro in Venedig die Künstler bewundern, die sein Großvater Giorgio in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gesammelt hat. Von Mantegna bis Manzoni hat die Familie Franchetti stets auf die Kunst als großartigen Ausdruck italienischer Identität geschaut.

Zur Ausstellung wird eine umfangreiche Publikation erscheinen, die als eine Präsentation von Forschungsergebnissen zu verstehen ist: zahlreiche Originaldokumente, Darlegungen von maßgeblichen Wegbereitern und fundierte Essays werden eine wissenschaftlich eklatante Lücke schließen.

The Lack of the Other
Francesco Lo Savio – Tano Festa
7. Mai bis 7. August 2011