Kunsthaus Zürich. Zweite Sichtung

Am Sonntag war ich in Zürich und der Erweiterungsbau des Kunsthauses endlich mal geöffnet, am Montag wurde publik, dass Architekt David Chipperfield den Pritzker Preis gewonnen hat. Grund genug diesen Neubau noch einmal zu rezipieren. Im Blick hatte ich ihn seit der Fertigstellung außen, in der Architekturdatenbank nextroom dokumentiert, anlässlich der Eröffnung.

Eines vorweg, je länger, desto richtiger steht das abstrakte Volumen gegenüber dem bestehenden Kunsthaus am unüberwindlichen verkehrsreichen Heimplatz. Es ist nicht so, dass ich den Haupteingang im neuen Bau gesucht hätte, trat im Moserbau ein, wusste nicht, wie zum eindeutig als Portal zu erkennenden Ausschnitt dort drüben zu gelangen. Die unterirdische Passage – Nabelschnur kann nur im Sinne von immerwährender Verbindung gelten, denn der Neubau hat die Ausstellungsfläche verdoppelt – war naheliegender. Erwartungsvoll finde ich nur den Abgang zu Garderobe und Toiletten, durch die geöffnete messinggerahmte Glastür geht es dann aber doch in die – Unterführung: ein elendslanger Gang, Marmorgepflastert, dem von der Betonwand abgesetzten Sitz(?)-Riegel entspricht die Lichtlinie an der Betondecke. Die marmornen Mini-Stalaktiten stellen sich als Kunstinstallation von Ólafur Elíasson heraus. "Your submerged spectator" sind sieben amorphe Skulpturen aus Marmor, die an Eisberge von unten erinnern. Vorlage dafür sind 3D-Scans von echten Eisblöcken, die aufgrund des Klimawandels aus Gletschern abbrechen und in Island angeschwemmt werden.

Das Auftauchen in der neuen öffentlichen, über alle Geschoße bis zum Dachoberlicht ragenden Eingangshalle ist jedoch spektakulär. Üppig gezeichneter Marmor – aus dem Kärntner Krastal – ist das Material für die gesamten Erschließungsflächen am Boden, die prächtigen Treppenanlagen führen in einer großzügigen Bewegung nach oben. Diese beiden Stockwerke sind ausschließlich der Kunst vorbehalten. Die innere Organisation folgt der Prämisse räumlicher Vielfalt in Bezug auf Größe, Wandfarbe, Orientierung, Belichtung und bleibt wohltuend klassisch zurückhaltend. Türelemente aus goldglänzendem Messing veredeln die Sichtbetonwände.

Chipperfields Idee des durchlässigen Stadtraums geht eindeutig auf. Im Süden der nunmehr allseitig gefasste Heimplatz und im Norden ein Garten als überleitender Naturraum zum Universitätsquartier, dazwischen das die öffentlichen Räume wogend verbindende Foyer als "Tor der Künste". Die Naturstein-Fassade (Liesberger Kalkstein) des neuen Kunsthauses korrespondiert in Farbigkeit und Struktur mit den gegenüberliegenden Gebäuden (Karl Moser, 1910; Anbau Gebrüder Pfister, 1958; Erwin Müller, 1976). Mit der filigranen in endlos scheinenden Reihen von Lisenen aufgelösten Hülle ist Chipperfield formal auf der sicheren Seite (und es darf an weitere seiner Werke wie das Kaufhaus Tyrol in Innsbruck erinnert sein).

Ein letzter Blick wieder von der gegenüberliegenden Seite aus – das neue Kunsthaus im Licht der untergehenden Sonne. Und plötzlich nehme ich den wackeligen Stamm der verloren am Heimplatz herumstehenden Skulptur von Pipilotti Rist wahr. Erfreulich! Bestimmt nicht zu übersehen in der Nacht, wenn die von der kleinen Raumsonde ausgehenden farbigen Lichter die umliegenden Fassaden abtasten.