Kindeswohl – The Children Act

4. September 2018 Walter Gasperi
Bildteil

Ein an Leukämie erkrankter 17-Jähriger benötigt dringend eine Bluttransfusion, doch er selbst und auch seine Eltern lehnen dies als gläubige Zeugen Jehovas ab, sodass eine Familienrichterin entscheiden muss. Emma Thompson brilliert in dieser Ian McEwan-Verfilmung um Recht und Moral, die Regie von Richard Eyre vermag aber keine entscheidenden Akzente zu setzen.

Nach "Am Strand - On Chesil Beach" kommt mit "Kindeswohl – The Children Act" innerhalb weniger Monate die zweite Ian McEwan-Verfilmung in die Kinos. Das Drehbuch nach dem 2014 erschienenen Roman hat dabei gleich der Autor selbst geschrieben.

Im Zentrum steht die Londoner Familienrichterin Fiona Maye (Emma Thompson), die nur noch für ihren Beruf lebt und nicht einmal mehr Zeit für ein Gespräch mit ihrem Mann Jack (Stanley Tucci) hat. Kein Wunder ist es folglich, dass er sich auf eine Affäre mit einer jüngeren Frau einlässt, die Fiona ebenso zum Nachdenken bringt wie der Fall des 17-jährigen Adam, der schwer an Leukämie erkrankt ist.

Zügig handelt sie in der Regel die einzelnen Fälle ab. Von ihrem Sekretär wird sie jeweils im Büro über das Tagesprogramm informiert, kurz ist der Weg zum kleinen Gerichtssaal, in dem die familiären Angelegenheiten unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt werden.

Von der Privatperson wechselt sie so in Sekundenschnelle mit Betreten des Gerichtssaals zur öffentlichen Instanz. Klar macht sie gleich beim Fall von siamesischen Zwillingen, dass es nicht um Moral geht, sondern um die Erfüllung des Gesetzes. Kaltblütiger Mord wird ihr deshalb von den Eltern und den Medien vorgeworfen, als sie dem Krankenhaus das Recht auf Trennung der Zwillinge zugesteht und damit das Überleben eines Kindes ebenso ermöglicht wie den Tod des anderen besiegelt.

Das Dilemma, vor dem die Richterin immer wieder steht, wird mit diesem den Film einleitenden Fall präsentiert. Intensiver wird sie damit konfrontiert, als sie im Fall des 17-jährigen Adam entscheiden muss. Mit einer Bluttransfusion könnte man ihn vielleicht retten, andernfalls droht ein grausamer Tod. Als Zeugen Jehovas lehnen er und seine Eltern aber diese Behandlung ab, da das Blut der Sitz der Seele sei und nicht vermischt werden dürfe.

Wäre Adam volljährig könnte er selbst entscheiden, so aber ist zu prüfen, ob er seine Entscheidung wirklich aus freiem Willen getroffen hat und ob er sich deren Folgen bewusst ist.

Hier treffen nicht nur religiöse Vorschriften auf aufgeklärte Gerichtsbarkeit, sondern auch Respekt vor der Entscheidung des Individuums und die Würde des Menschen auf das Wohl des Kindes. Um sich selbst ein Bild von Adam zu machen sucht die Richterin ihn vor der Urteilsverkündung im Krankenhaus auf und führt ein Gespräch mit dem geistreichen jungen Mann, das sie tief berührt und sie auch mit der eigenen Kinderlosigkeit konfrontiert.

Routiniert ist das zweifellos inszeniert, ein Rädchen greift ins andere und dynamisch wird die Handlung entwickelt. Eigene Akzente vermag Richard Eyre ("Iris", "Die Geschichte eines Skandals") aber nicht zu setzen, sondern begnügt sich mit der Bebilderung des Drehbuchs. Getragen werden muss "Kindeswohl – The Children Act" folglich von den Schauspielern und hier kann der 75-jährige Brite auf das Trio Emma Thompson, Stanley Tucci und Fionn Whitehead vertrauen.

Bewegend vermittelt Fionn Whitehead ("Dunkirk") die Zerrissenheit Adams zwischen der Überzeugung die Transfusion ablehnen zu müssen und dem leidenschaftlichen Wunsch zu leben. Wunderbar zurückhaltend und nachvollziehbar spielt auch Stanley Tucci Fionas Ehemann, der seine Frau spürbar liebt, aber ihre Kälte und Abschottung nicht mehr aushält, sie dennoch zurückzugewinnen versucht, als sie ihn scheinbar ungerührt aus der Wohnung wirft.

Aber das Zentrum dieses Dramas ist Emma Thompson als kühle Richterin, die keine Emotionen an sich lässt, bis die Ehekrise und das Schicksal Adams sie doch erschüttern und sie wieder langsam lernt Gefühle zuzulassen. Wie hier sukzessive dieser Panzer zerbröckelt, sie immer wieder fahrig im Büro agiert und in der Begegnung mit dem Teenager in Gestik und Mimik Sehnsüchte und verpasste Chancen spürbar werden, ohne dass sie wirklich angesprochen werden, ist große Schauspielkunst.

Läuft derzeit im Kino Madlen in Heerbrugg (deutsche Fassung), im Kino Scala in St. Gallen (deutsche Fassung und engl. O.m.U.) und im Takino Schaan (engl. O.m.U.)
Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do 20.9., 20 Uhr; Fr 21.9., 22 Uhr; Sa 22.9., 22 Uhr (engl. O.m.U.)

Trailer zu "Kindeswohl - The Children Act"