Kein Balsam für den Gaumen

6. Juni 2011 Kurt Bracharz
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Man ist derzeit auch in der besseren Gastronomie nicht vor der Kontaminierung des Essens mit sogenanntem Balsamico sicher. An Salaten bekommt man diesen oft picksüßen Braunen ohnehin ungefragt vorgesetzt, aber immer öfter findet man ihn auch in Speisen, in denen er gar nichts verloren hat (das Foto zeigt ein in einem Biergarten serviertes Vitello tonnato mit Balsamico), oder er wird zumindest als Dekor auf den Tellerrand gepatzt.

Tausend Jahre lang – der Toskaner Bonifacio III. schickte um das Jahr 1000 Kaiser Heinrich III. ein Fläschchen Balsamico in einer extra für den Transport gebauten, mit Silberintarsien geschmückten Kutsche – stand das Wort "Balsamico" nur für den heute auf dem Etikett als "Aceto Balsamico Tradizionale di Modena" (ABTM) ausgewiesenen dunkelbraun glänzenden Essig, der in Modena oder in der Region Reggio Emilia (ABT di RE) ausschließlich aus eingekochtem Traubenmost hergestellt wird. Die weißen Trebbiano-und Sauvignon-Trauben dafür müssen aus der Gegend kommen, der Essig mindestens 12 Jahre (der "extravecchio" 25 Jahre) in unterschiedlichen Holzfässern (Kastanie, Eiche, Vogel-Kirsche, Maulbeerbaum, Wacholder, Esche) der Essigmanufakturen reifen und abgefüllt werden.

Auf den von dem sonst vor allem in der Autobranche tätigen Industriedesigner Giorgio Giugiaro entworfenen Flaschen befindet sich aber nie eine Altersangabe in Zahlen. 12-jähriger ABTM hat eine crèmefarbige Kapsel, 25-jähriger eine goldene. Dieser echte, teure Balsamico mit seinem ausgewogen süß-sauren Geschmack wird nicht als Marinade, sondern nur als Gewürz verwendet, zum Beispiel auf mit Ricotta gefüllte Kürbisblüten geträufelt oder, wenn er schon sirupartig dickflüssig ist, mit einer Pipette auf ein Stück Parmesan aufgetropft. Die Consorteria dell’Aceto Balsamico Tradizionale di Modena richtet jährlich eine Verkostung aus, den "Palio di San Giovanni", der 2010 von Stradi Tosca aus Modena gewonnen wurde.

Etwa ab den 1970er Jahren begann man in Italien und anderswo, schnell und einfach verfertigte Imitate des echten Balsamico als "Aceto Balsamico di Modena" (also ohne das maßgebliche Wort "Tradizionale") zu verkaufen. Seit 2009 ist diese Bezeichnung durch die EU (Verordnung (EG) Nr. 583/2009 der Kommission) eine geschützte geographische Angabe (Indicazione Geografica Protetta, IGP), wobei ein solcher Balsamico aus mindestens 20 Prozent eingedicktem oder eingekochtem Traubenmost, 10 Prozent Weinessig sowie einer Zugabe von mindestens 10 Jahre altem Essig bestehen muss. Das Reifen in Holzfässern muss mindestens 60 Tage dauern – ein sehr deutlicher Unterschied zu 12 Jahren – und in Modena oder Reggio Emilia stattfinden.

Die Trauben der dafür zugelassenen Rebsorten Lambruschi, Sangiovese, Trebbiani, Albana, Ancellotta, Fortana oder Montuni können allerdings auch aus anderen Ländern kommen, die Abfüllung darf ebenfalls woanders erfolgen. Die Färbung mittels Karamell ist erlaubt, nicht aber mit Zuckercouleur. Der Säuregehalt muss mindestens 6 Prozent betragen. Drei Jahre gereifte Essige können als "invecchiato" bezeichnet werden. Die Essigsäure darf nur aus Weintrauben stammen, nicht aus Zuckerrübe, Zuckerrohr oder Mais. Konsumentenschützer finden bei Balsamico-Tests häufig kleinere Mengen unerlaubter Zuckerarten zugesetzt, aber auch Aromen und Zuckercouleur.

Für "Balsamessig" ohne den Zusatz "di Modena" und für "Condimento Bianco", also aus weißen Trauben industriell hergestellten weißen Balsamico-Essig, gibt es keine verbindlichen Vorschriften, ebensowenig für "Crema di balsamico", die Verdickungsmittel und andere Zusatzstoffe enthält.