Joan Miró – Mauer, Fries, Wandbild

Vom 2. Oktober 2015 bis 24. Januar 2016 zeigt das Kunsthaus Zürich "Joan Miró – Mauer, Fries, Wandbild", eine wegweisende Ausstellung, die Mirós grossformatige Wandbilder im Kontext seines Gesamtwerks präsentiert und ein neues Verständnis seines Zugangs zur Malerei eröffnet. Sie veranschaulicht wichtige Konstanten der Laufbahn des Künstlers, nicht zuletzt die zutiefst monumentale Qualität seiner Kunst und seine Vorliebe für grosse Formate. Die Ausstellung umfasst rund 75 Werke aus den bedeutendsten öffentlichen und privaten Sammlungen in Europa und den USA.

Mirós Werk zeichnet sich durch unwiderstehliche Direktheit und eine ausgesprochen materielle Qualität aus. Es überrascht daher nicht, dass es in den Äusserungen des Künstlers zu seiner Arbeit vorwiegend um "reine" einfache Formen und die Oberfläche jener Wand geht, die gern als Ursprung seiner Malerei bezeichnet wird. Alles begann mit den gemauerten Wänden des Bauernhofs der Familie Miró in Montroig. Sie bildeten den Ausgangspunkt des bekannten Gemäldes "Der Bauernhof" (La Ferme, 1921/22), in dem der Künstler die Schönheit ihrer materiellen Beschaffenheit mit akribischer, ausserordentlich poetisch wirkender Detailgenauigkeit festhielt. Die Wand war für ihn also nicht nur ein abzubildendes Objekt, sondern ihre materielle Beschaffenheit bestimmte auch die intensive physische und taktile Qualität seiner Bilder.

Diese Abkehr von der einfachen Wiedergabe der Wirklichkeit hin zur Gleichsetzung der Bildfläche mit der Wand prägte sein Werk. Am Anfang des Ausstellungsrundgangs hängt "Der Bauernhof" gegenüber dem Werk "Die Hoffnung des zum Tode Verurteilten I–III" (L’Espoir du condamné à mort I–III, 1973). Damit wird ein Bogen geschlagen zwischen Mirós frühen Darstellungen gemauerter Wände und den wandähnlichen Graffiti in diesem monumentalen späten Triptychon, das als erschütternde Anklage gegen die anhaltende Grausamkeit Francos während der letzten Jahre seines Regimes gelesen werden kann. Die Gegenüberstellung eines frühen und eines späten Werks ist eine konsequent weitergeführte Strategie der Ausstellung.

Mirós besonderes Verhältnis zur Wand erklärt die Sorgfalt, mit der er seine Bildgründe in jeder Phase seiner künstlerischen Laufbahn auswählte und vorbereitete. Er arbeitete dabei gern in Serien. Der Ausstellungsrundgang veranschaulicht diese Praxis dadurch, dass Werke mit farblich ähnlichen Grundierungen oder solche, in denen gleichartige Alltagsmaterialien verarbeiten wurden, zu Gruppen zusammengefasst sind.

In den 1920er-Jahren tropfte und spritzte der Künstler Farbe auf braune Bildgründe, um den Eindruck alter, verwitterter Mauern zu erzeugen. In seiner Tendenz, bestimmte Formate und Grössen über eine Reihe von Werken hinweg zu wiederholen, spiegelt sich sein serieller Ansatz. In diesem Teil der Ausstellung sind auch mehrere Bilder mit blauem Malgrund zu sehen – darunter "Malerei" (Peinture, 1925), das einen satten, sorgfältig gemalten Grund mit lediglich einem Punkt in der oberen linken Ecke zeigt – sowie einige von Mirós "Traumbildern" aus den mittleren 1920er-Jahren, die mittlerweile Kultstatus haben. Gewöhnlich wird das Blau mit dem Himmel gleichgesetzt, Miró selbst brachte es jedoch mit seinen Erinnerungen an die mit blauer Sulfitlauge bespritzten Mauern von Bauernhöfen in Verbindung. Dieser Ansatz ist im Triptychon "Blau I–III" (Bleu I–III, 1961) majestätisch ausgearbeitet, das diesen Teil der Ausstellung abrundet.

Eine Gruppe von weiss grundierten Gemälden aus den späten 1920er-Jahren wird zusammen mit "Malerei (Die Magie der Farbe)" – Peinture (La magie de la couleur, 1930) – präsentiert, einem Werk, das hier eine Schlüsselrolle spielt für das Verständnis von Mirós berühmter Erklärung, "ich will die Malerei ermorden", aus dem Jahr 1927. Die "abstrakte Sparsamkeit" des übergrossen roten und des gelben "Punktes" und die sie umgebende Leere verdeutlichen seinen Versuch, dem herkömmlichen Ansatz der Bildproduktion eine Absage zu erteilen und weisen bereits auf seine späteren Grossformate hin.

Die Verwendung von unkonventionellen Malgründen, wie unbehandelte Leinwand, Jute, Masonit, Sandpapier und Teer, charakterisiert die Werke des nächsten Ausstellungsabschnitts, der die Materialien ins Visier nimmt, zu denen Miró im Bestreben, die Malerei zu "überwinden", in den frühen 1930er-Jahren gegriffen hat. Die besondere Textur und Materialbetontheit mancher Werke, etwa der Collage "Kopf Georges Auric" (Tête de Georges Auric, 1929) oder des Reliefs "Menschlicher Kopf" (Tête humaine, 1931), veranschaulichen Mirós neuen Ansatz. In diesem Teil der Ausstellung sind auch Werke zu sehen, deren materielle Beschaffenheit Miró durch die Textur der Oberfläche noch verstärkte, indem er der Ölfarbe Kies, Sand und Teer beimischte, was den Bildern eine taktile Qualität verleiht.

1937 schuf Miró sein erstes öffentliches Wandbild für den Pavillon der Spanischen Republik an der Weltausstellung in Paris, für welchen Picasso "Guernica" malte. Wie Picassos Beitrag war auch Mirós "Der Schnitter" (Le faucheur, heute verschollen) ein politisches Statement – nicht nur zum Spanischen Bürgerkrieg, sondern auch zu der weltweit zunehmend bedrohlichen politischen Lage. Eine Serie von Gemälden auf rauer Sackleinwand, die Miró zwei Jahre später schuf, widerspiegelt nach wie vor die herrschenden politischen Unruhen und unterstreicht zugleich die Vorliebe des Künstlers für starke Materialbetontheit und belebende Texturen. Der kühne Stil dieser Werke, in denen er der Malerei auf der nackten Wand vielleicht am nächsten kam, verrät die zunehmende Niedergeschlagenheit des Künstlers angesichts der verhängnisvollen politischen Ereignisse.

In der Zeit unmittelbar nach dem Krieg knüpfte Miró wieder an frühere Werke an und zeichnete frei und ganz fein auf weisse oder graue Gründe, wodurch die Bilder wie Freskos wirken. Die strukturierten weissen Bildgründe ahmen erneut die visuelle Vielfalt der weissgetünchten Wände nach, die ihm aus seiner Kindheit auf dem Bauernhof in Erinnerung waren und für ihn stets ein wichtiger Bezugspunkt bleiben sollten. Für die grauen Bildgründe verwendete er Stroh, mit dem er die Fläche so aufraute, dass sie wie eine wunderschön verwitternde Wand wirkt.

"Sans titre" (1953) verbindet kühne Flächenstrukturen mit wenigen zeichnerischen Elementen, die aus dem früheren anspielungsreicheren Stil des Künstlers abgeleitet sind und setzt auch auf die bei den Surrealisten beliebte Praxis des Zufälligen und "Automatischen". Derselbe Ansatz findet sich auch in dem rätselhaften Bild "Das Erwachen von Frau Bou-Bou im Morgengrauen" (Le Réveil de Madame Bou-Bou à l’aube, 1939–1960), wo die fein auf den weissen Grund gezogenen Linien wirken, als seien sie direkt auf eine alte Wand gezeichnet. Bei anderen Werken in diesem Teil der Ausstellung bearbeitet Miró Kartonoberflächen, in dem er sie mit Farben beschichtet, die mit anderen Substanzen, wie Zement oder Sand, vermischt sind, um ihnen mehr Struktur zu verleihen.

Mirós Technik, zusätzlich zur Farbe noch andere Materialien zu verwenden, um die Oberflächen seiner zweidimensionalen Bilder zu strukturieren, spiegelt sich auch in seinen Skulpturen der 1950er-Jahre, in denen sich dieselben sehr persönlichen Motive finden. Bei "Grosse Figur" (Grand Personnage, 1956) etwa, einem Werk, das als Schenkung von Gustav Zumsteg, einem engen Freund von Miró, in die Sammlung des Kunsthauses gelangte, verstärkte Miró die Rauheit der Oberfläche, indem er den Ton vor dem Brennen und Glasieren mit feinem Kies durchsetzte.

1973 schuf Miró die vermutlich als Triptychon konzipierten Bilder "Malerei I–III" (Peintures I–III), in denen ein blauer Fleck an der "Wand" den Betrachter in seinen Bann zieht: eine unwiderstehliche Demonstration der künstlerischen Vitalität des mittlerweile achtzigjährigen Malers. Diese drei Bilder fassen seinen lebenslänglichen Glauben an die Inspirationskraft nackter Wände zusammen und rufen Leonardo da Vincis "componimento inculto" (nicht gezielt erarbeitete Komposition) in Erinnerung, worauf sich Miró im Lauf seiner Karriere immer wieder berief. Die Bilder beweisen seine Vorliebe für Serien und liefern aber zugleich eine Zusammenfassung seiner Vorstellungen von Wandmalerei, die einen enormen Einfluss auf den Abstrakten Expressionismus ausüben sollten. Drei undatierte Spätwerke aus der Fundació Pilar i Joan Miró in Palma belegen einmal mehr, dass Mirós Bildsprache auf schlichte Hausmauern samt ihren Flecken und sonstigen "Schönheitsfehlern" zurückgeht. Der extreme radikale Charakter dieser grossformatigen Schwarz-Weiss-Bilder ist einmalig in Mirós OEuvre und bildet einen Kontrapunkt zu den leuchtend bunten Werken, für die er so berühmt ist.

Das keramische Wandbild "Vögel, die wegfliegen" (Oiseaux qui s’envolent, 1971–72), das im Innenhof des Kunsthaus Zürich steht, war der Ausgangspunkt für diese Ausstellung und den sie begleitenden Katalog. Entsprechend schliesst die Präsentation mit Werken, die in Bezug zu einem weiteren Beispiel dieses Genres in Mirós OEuvre stehen: den Entwürfen im Originalmassstab, die Miró im Zusammenhang mit den zwei Wandbildern für den Hauptsitz der Unesco in Paris schuf. "Mondwand" (Mur de la lune) und "Sonnenwand" (Mur du soleil), beide 1957, markieren den Anfang einer ergiebigen und fruchtbaren Erforschung der Möglichkeiten der grossformatigen Keramik. Die beiden Entwürfe sind hier erstmals zusammen ausgestellt.


Joan Miró – Mauer, Fries, Wandbild
2. Oktober 2015 bis 24. Januar 2016