IFFI 2010: Brennende Probleme der Gegenwart

Nach schwachem Beginn folgten im Finale des 19. Internationalen Film Festivals Innsbruck noch einige Filme, die durch ihren genauen Blick auf aktuelle globale Probleme bewegten und erschütterten. Mit dem Filmpreis des Landes Tirol wurde "True Noon" des Tadschiken Nosir Saidov ausgezeichnet, der die Grenzkonflikte in der postkommunistischen Sowjetunion thematisiert.

Deutlich schwächer als letztes Jahr war das Wettbewerbsprogramm des heurigen Internationalen Film Festivals Innsbruck. Herausragende Filme fehlten, mit "True Noon" des Tadschiken Nosir Saidov entschied sich die aus Marie Miyayama, Kurt Lanthaler und Friedrich Engelhardt gebildete Jury bei der Vergabe des mit 5000 Euro dotierten Filmpreises des Landes Tirol aber immerhin für den richtigen Film. Ein Meisterwerk ist dieser Film über ein tadschikisches Bergdorf, durch das Soldaten plötzlich einen Grenzzaun ziehen und jeden Übertritt sogar mittels Minen zu verhindern suchen, sicher nicht, aber prächtig fotografiert, in seiner einfachen Erzählweise und in seiner Menschlichkeit sympathisch ist das allemal.

Eindringlich macht Saidov die Absurdität solcher Grenzziehungen deutlich, wenn er einen Lehrer seine Schüler über den Stacheldraht hinweg unterrichten lässt oder ein junges Liebespaar durch diese Grenze trennt. Gegen eine solche Politik, die über die Köpfe der Menschen hinweg hirnrissige Entscheidungen trifft, setzt Saidov die Menschlichkeit, durch die trotz dieser politischen und bürokratischen Hindernisse und Schikanen eine Hochzeit ermöglicht wird.

Wie hier freilich ein Dorfbewohner das Leben lassen muss, so wird auch der Traum kurdischer Flüchtlinge, die sich in notdürftigen Unterkünften im halbverfallenen Fußballstadion der nordirakischen Stadt Kirkuk einquartiert haben, nur kurzzeitig wahr. Shawkat Amin Korki zeigt in seinem Spielfilm "Kick Off", der nicht zu verwechseln ist mit dem österreichischen Dokumentarfilm gleichen Titels, wie die 300 Flüchtlingsfamilien versuchen in der Ausnahmesituation ein normales Leben zu führen.

Sehnsüchtig wartet man zwar auf den Tankwagen der Wasser oder Benzin bringt, Tretminen haben Jugendliche zu Invaliden gemacht, man muss befürchten vom Besitzer, der das Stadion sanieren will, wieder vertrieben zu werden, oder Polizei- und Militärkontrollen über sich ergehen lassen und dennoch hat man auch ganz alltägliche Träume. Da keimt eine zarte Liebe zwischen Aso und einer jungen Frau, die Mädchen möchten gegen den Willen der Mütter Fußball spielen oder man will dem Finale der Asienmeisterschaft zwischen Irak und Saudiarabien auf notdürftig fixierter Großleinwand folgen. Asos größter Traum scheint freilich zu sein ein Spiel zwischen den Kurden und den Irakern zu organisieren – und tatsächlich gelingt es ihm alle Hindernisse zu überwinden, doch außerhalb des Stadions explodieren immer wieder Granaten.

Aus der realen Ausgangssituation entwickelt Korki in einer Fülle fiktiver Szenen ein facettenreiches Bild des trostlosen Flüchtlingsalltags, in dem gleichwohl immer Hoffnung keimt. So trist wie die fast schwarzweißen Bilder ist hier das Leben und doch gibt es darin auch kurze Momente des Glücks, gibt es Hoffnung, die mit den blassen Farbtupfern angedeutet wird.

Eine gänzlich aussichtslose Situation schildert dagegen der Brasilianer José Padilha in seinem Dokumentarfilm "Garapa". 110 Minuten lang macht Padilha nichts anderes als die Not von drei Familien, speziell der Kinder, in teilnehmender Beobachtung zu schildern. In grobkörnigen Schwarzweißbildern fängt er den grenzenlosen Hunger im Sertao ebenso wie in der Großstadt Fortalezza ein. Oft bekommen die Kinder nichts als Zuckerwasser (Garapa) als Nahrung, manchmal kommt man in Genuss eines staatlichen Förderprogramms, doch dieser Zuschuss reicht nicht weit.

Padilha betreibt keine Ursachenforschung, beschränkt sich auf die nur von wenigen Zwischenfragen unterstützte kommentar- und musiklose Schilderung: Bei Zahnschmerzen schreien die Kinder die ganze Nacht, Hautausschläge bleiben unbehandelt, zu ermattet sind sie vielfach sogar um die Fliegen zu vertreiben.

In dieser absoluten Konzentration auf die drei Familien, im insistierenden, die Gefilmten aber nie voyeuristisch ausbeutenden, sondern immer mitfühlenden Blick macht Padilha die Ausweglosigkeit fast physisch spürbar. Man will nicht glauben – und auch nicht sehen -, was man hier zu sehen bekommt, bleibt letztlich tief erschüttert und wie gelähmt zurück und muss mit den Schlussinserts zur Kenntnis nehmen, dass während dieser Filmvorführung wiederum weltweit 1400 Kinder an Hunger gestorben sind. – Kein anderer Film konnte sich beim Film Festival Innsbruck mit "Garapa" an Entschiedenheit auch nur annähernd messen - und kein anderer brannte sich einem so in Augen und Kopf ein wie dieser.