Ich Tarzan – du Nickless!

2. April 2011 Bernhard Sandbichler
Bildteil

... oder wie der 9-jährige Jean-Charles mit dem gleichaltrigen Nicolas aus Dublin Holländisch erfindet, weil er Deutsch sprechen soll: charmant, komisch, verwickelt – ein wunderbar zu lesender kleiner Roman.

1. Die Story: Alles hier kann man sehr intellektuell angehen. Zunächst ist es in dieser Geschichte wie in Peter Bichsels "Ein Tisch ist ein Tisch"-Geschichte: Gegenstände werden mit fantastischen Wortformen bezeichnet. Es geht um Kommunikation, die aufgrund der fehlenden gemeinsamen Sprache – französische Familie trifft im Urlaub am Campingplatz in Deutschland auf (vermeintlich) holländische Familie – gestisch funktioniert; dann aber sprachlich gewieft ausgebaut wird. Letztendlich wird bewiesen: Kommunikation zwischen Franzosen und Irländern auf Holländisch funktioniert, auch wenn der eine es nicht spricht und der andere es nicht versteht. Auf diese Weise können sogar Menschenleben gerettet werden! Es gibt also ein Happyend (ganz im Gegensatz zu Bichsel).

2. Der Held: "Ich war neun Jahre als, als ich Holländisch gelernt habe." Von wegen. Was Jean-Charles hier schwadroniert ist linguistische Rache am pädagogischen Ansinnen seines Vaters: "Ich habe mir überlegt, für die Kinder wäre es gut, wenn wir nach Deutschland fahren. Da können sie die Leute den ganzen Tag Deutsch sprechen hören. Sie würden richtig baden in der deutschen Sprache." Was solche Erwachsenen-Maßnahmen zeitigen, zeigt sich im Titel des Buches: "Ich Tarzan – du Nickless!". Klingt wie Guy Deutschers linguistischer Reader "Du Jane, ich Goethe". Beide Bücher sind eines: "eine Geschichte der Sprache".

3. Der Sound: Marie-Aude Murail verleiht dem Thema eine ganz sanfte schelmische Ironie. Schön zum Vorlesen und Selberlesen.

4. Coole Worte: "Ich fand es langweilig, eine Blume "Blume" zu nennen." Daher "Sprott". Baum? "Traboim"! Zelt? "Schrapatt"! Und zum Schluss: ""Nickless gabumm Ichtazan." Muss ich das noch übersetzen? Das hieß natürlich, dass wir Freunde waren."

5. Coole Bilder: Michel Gay ist ein Mann der feinen Striche und der von diesen umrissenen aquarellierten Flächen. Was spricht er? "Wie viele Kinder hatte ich Schwierigkeiten mit dem Lesen. Es fiel mir erheblich leichter, mich durch eine Zeichnung auszudrücken, und ich zeichnete viel. Ich erinnere mich sogar, gemalte Aufsätze abgegeben zu haben." Allerdings: Sein erstes Buch veröffentlichte er noch während der Schulzeit.

6. Zum Nachdenken: "Ein Buch ist vor allem anderen ein Gegenstand, der seinen eigenen Rhythmus hat." Auch das ist ein Diktum des Zeichners Michel Gay. Er bezieht sich dabei auf die Bild-Text-Aufteilung (die in diesem Buch ein einziger Genussist). Wenn man dieses Buch durchliest, weiß man, warum er das sagt – und dass er recht hat.

7. Das Buch: Michel-Aude Murail und Michel Gay: Ich Tarzan – du Nickless. Aus dem Französischen von Paula Peretti. Frankfurt am Main: Moritz Verlag 2011. 57 Seiten

8. Die Autorin: In Frankreich erhielt das Buch bei Erscheinen 1989 den Prix Sorcière, für Marie-Aude Murails Jugendroman "Simpel" gab’s 2008 den Deutschen Jugendliteraturpreis.