Hühnerbrühe, oder doch lieber Champagner?

22. Dezember 2010 Rosemarie Schmitt
Bildteil

Nun, da sich das Jahr 2010 dem Ende nähert, blicke auch ich zurück. Was ist der Name, die Hülsenfrucht, das Unwort, der komischste Komiker, der politischste Politiker, der herrischste Herr oder die dämlichste Dame des Jahres? Wen interessiert’s? Mich nicht. Blicke ich zurück, so liegt hinter mir ein Jahr voll wunderbarer Musik. Und würde jemand mich nach meiner liebsten Musik des Jahres 2010 fragen, so müsste ich nicht lange überlegen.

Aber, mich fragt ja niemand. Oder etwa doch? Sie? Sie interessiert‘s? Na gut, weil Sie es sind. Mich beeindruckte die Sopranistin Simone Kermes mehr als alle anderen! Würde ich gezwungen alle CDs des Jahres 2010, bis auf zwei, wieder herzugeben, so würde ich "Lava" und "Colori d’Amore" von Simone Kermes behalten wollen. Das erste was ich von ihr hörte war die CD "Lava". Und seit diesem Zeitpunkt nimmt die Faszination kein Ende. Alles was ich seither von Simone Kermes hörte, las und sah, fügte sich zu einem wundersamen Bild.

Simone Kermes wurde in Leipzig geboren, aber das hört man nicht (wenn sie singt). Sie war siebzehn als sie Mutter wurde und entschied sich, statt das Abitur zu machen, für eine Ausbildung zur Facharbeiterin für Schreibtechnik und arbeitete dann als solche bei einer Leipziger Firma. Das wars? Ein Kind, einen guten Job, ein einigermaßen normales Leben führen, zufrieden sein. Mitnichten! Simone Kermes nahm Gesangsunterricht, bemühte sich um ein Studium in Magdeburg und schaffte es. Mich wundert es nicht wirklich, bei dieser Stimme! Haben Sie diese Frau einmal auf der Bühne erlebt? Sie ist direkt, sie ist lebendig, sie ist glaubwürdig, sie ist schön (auch während sie singt), sie ist voller Temperament und Emotionen. Es ist eine wahre Freude Simone Kermes zu hören und zu sehen. Wäre ich um einige Jahre jünger, ich würde sagen, sie rockt die Bühne. Sie bewegt sich, schnippt mit den Fingern, wippt und tanzt in ihren farbenfrohen Kleidern, dem roten Haar und das mit einer Ausstrahlung zum niederknien.

Kermes, der Name weist auf den arabischen Begriff al-qirmiz hin. Kermes, der Farbstoff Karmin, gewonnen aus der roten Scharlachbeere (Alchermes).

Seit langem bereits hege ich eine Vorliebe für Barockarien, und doch hatte ich immer das Gefühl daß dieser Musik irgend etwas fehlt. Wer komponierte sie und zu welchem Zweck? Wo wurde sie gespielt? Was war es, daß das Publikum an den Kastraten und Sopranistinnen jener Zeit derart faszinierte? Ich vermisste das Bunte, das Verrückte, das Tänzerische, das Ungehörige, das Toben, das Furiose, das Kuriose, das Lachen und das Weinen. Wo war all das, was ich mir vorstellte und zurecht gesponnen hatte? Oder war es wirklich nur Spinnerei? War diese Zeit und deren Musik wirklich so anders als ich sie mir ausmalte?
Nein, nein und nochmals nein! Denn seit ich Simone Kermes hörte und sah, vermisse ich an dieser Musik rein gar nichts mehr! Das Bild fügt sich zu einem wundervoll stimmigen Kunstwerk, und ich kann gar nicht genug davon bekommen.

Selbst Titel die ich nachweislich zum ersten Male höre, denn es handelt sich um Weltersteinspielungen, klingen seltsam berührend vertraut, wenn Simone Kermes sie singt. Als Beispiel sei hier der erste Titel ihres aktuellen Albums "Colori d’amore" genannt. Die Arie "Il mar de le mie pene" von Alessandro Scarlatti schmiegt sich wie eine vertraute und geliebte Katze an meine Seite. So vertraut, als hätte es niemals eine andere Katze in meinem Leben gegeben.

Begleitet wird Simone Kermes auf ihrem neuen Album, das übrigens bei SONY-Music (Sony Classical) erschienen ist, von dem Ensemble Musiche Nove deren Leiter Claudio Osele ist. Der Osele? Genau, der ehemalige Lebensgefährte von Cecilia Bartoli arbeitet jetzt mit Simone Kermes. Also, was sind denn das für Töne? Nun, vielleicht war ihm nach mehr Leben? Bunt, barock und dennoch schnörkellos, direkt, ehrlich und sowas von gut! Ob ich Vergleiche anstelle zwischen Cecilia Bartoli und Simone Kermes? Aber nein, ich bitte Sie! Apropos, womit stoßen Sie eigentlich auf das neue Jahr an? Mit gesunder Hühnerbrühe oder mit prickelndem Champagner?

Sagte ich nicht zu Beginn, daß diese Sopranistin mich mehr als alle anderen begeisterte!
Ich wünsche mir, Simone Kermes einmal live erleben zu dürfen.
Ihnen wünsche ich friedvolle und glückliche Weihnachtstage!

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt
classicuss@googlemail.com