Hollein Calling - Architektonische Dialoge

Es gibt mehr Hollein in der Gegenwartsarchitektur als man sich denken würde, und es gibt im Werk von Hans Hollein, dem international wohl am breitesten rezipierten österreichischen Architekten, noch viel Unbekanntes zu entdecken. Der Nachweis für beides liegt nun in Form der Ausstellung „Hollein Calling“ im Architekturzentrum Wien sowie des begleitenden Buches vor.

Hans Hollein, einziger österreichischer Pritzker-Preisträger und in den 1960er-Jahren selbstproklamierter Avantgardist, war Zeit seines Lebens ein akribischer Kurator seines eigenen Werkes. Die Ausstellung geht dem Phänomen Hollein aus heutiger Sicht nach. Fast zehn Jahre nach seinem Tod präsentiert das Architekturzentrum Wien (Az W) einen Reichtum an bisher unveröffentlichtem Archivmaterial und startet im Dialog mit Positionen einer jüngeren Architekturgeneration eine Neubewertung, die das Werk Holleins in den aktuellen Diskurs zurückholt.

In der Ausstellung treffen wegweisende Projekte aus dem Atelier Hollein auf heutige Bauten und Projekte von fünfzehn europäischen Architekturbüros, die aktuell mit ihrer Arbeit Diskurse prägen. Für die Besucher:innen eröffnet sich eine kaleidoskopische Erfahrung mit vielfältigen, oft überraschenden Blickwinkeln auf scheinbar bekannte Arbeiten, von Holleins kleinen Architekturen wie Retti und Schullin, über ausgewählte Ausstellungsprojekte bis zu Schulbau und Museen. Die Hollein-Exponate – Skizzen, Modelle, Prototypen und Dokumente – stammen aus dem umfangreichen Archiv Hans Hollein, Az W und MAK, Wien, das seit mehreren Jahren vom Az W aufgearbeitet wird und die einzigartige Architektursammlung des Az W bereichert. Diesen gegenübergestellt werden ausgewählte Arbeiten der jüngeren Architekturbüros. Große Tische spannen assoziative Felder auf, in denen sich die Exponate entlang verwandter Themen, Methoden und Interessen begegnen und Resonanzen zwischen den Polen Übereinstimmung und Dissonanz erzeugen. Videoprojektionen geben Einblicke in das umfangreiche Bildarchiv des Ateliers Hollein, wobei bisher unveröffentlichtes Bildmaterial Zugänge zu alternativen Gedankensträngen und unrealisierten Konzeptideen eines bis jetzt „unbekannten“ Hollein ermöglicht. Im Dialog dazu vermitteln Interviewzitate sowie großformatige Abbildungen die architektonischen Haltungen der zeitgenössischen Architekturbüros. Viele von ihnen sehen die Ausweitung des Architekturbegriffs als größte Errungenschaft Holleins, verstehen sie doch ihre eigene Arbeit als Teil einer sich neu formierenden, kritischen kulturellen Produktion. Was sie alle vereint, ist der Wunsch: Es soll wieder mehr über Architektur diskutiert werden.

Eine Auswahl von fünfzehn Projekten aus dem Atelier Hollein bildet die Grundlage für den Dialog mit den zeitgenössischen Architekturbüros. Es handelt sich dabei um Schlüsselwerke des Ateliers Hollein, die zu ihrer Zeit den Diskurs geprägt haben und sich auch im Gespräch mit den jüngeren Architekt:innen als zentral erweisen. Dabei gilt das Interesse überwiegend den frühen Projekten – Vulcania ist mit einer Entstehungszeit von 1994–2002 das jüngste der ausgewählten Bauten. Gemeinsam repräsentieren die ausgewählten Projekte, alles realisierte Bauwerke oder Ausstellungen, eine breite Palette an Typologien und umfassen verschiedene Maßstäbe und Nutzungen.

Projekte von Hans Hollein:

Kerzengeschäft Retti (1964–1965)
Richard Feigen Gallery (1967–1969)
Austriennale (1968)
Carl Friedrich von Siemens Stiftung (1969–1972)
Media-Linien (1971–1972)
Juwelier Schullin I (1972–1974)
Städtisches Museum Abteiberg (1972–1982)
MAN transFORMS (1974–1976)
Österreichisches Verkehrsbüro (1976–1979)
Museum für Glas und Keramik Teheran (1977–1978)
Volksschule Köhlergasse (1979–1990)
Juwelier Schullin II (1981–1982)
Museum für Moderne Kunst Frankfurt (1982–1991)
Haas Haus (1985–1990)
Vulcania (1994–2002)

Die Auswahl der fünfzehn europäischen Architekturbüros erfolgte in der Annahme, dass Bezüge zu Aspekten aus Holleins Werk unmittelbar hergestellt werden können. Manchmal sind diese Bezüge im Vorfeld erkennbar, in anderen Fällen gibt es eher indirekte Gemeinsamkeiten. Was alle vereint, ist eine Bereitschaft, sich mit offenem Blick und ohne ideologische Schranken auf Holleins Werk einzulassen. Die eingeladenen Büros bilden bewusst keine homogene Gruppe und vertreten in vielerlei Hinsicht widersprüchliche Positionen und Sichtweisen zu Holleins Arbeiten. Was sie verbindet, ist eine bauliche Praxis, die eng mit der aktiven Teilnahme an lokalen und internationalen Diskursen verknüpft ist. Heute sind die Debatten an den Architekturuniversitäten von Fragen der sozialen Gerechtigkeit, Technologiekritik und Pessimismus angesichts der Klimakrise geprägt. Eine Verknappung der Mittel und die Kritik an Superlativen führen zu einer Hinwendung zum Regionalen und Spezifischen, aber auch zum Wunsch, das Universale und Klassische wieder aufleben zu lassen. So wird auch die nähere Vergangenheit neu entdeckt. Architektur fasziniert als kulturelles Phänomen, deren historische Dimension als treibende Kraft für eigene Entwürfe und Forschungen interessiert.

Die Grundidee der Ausstellung ist es, assoziative Zusammenhänge herzustellen und sicht- bar zu machen. So entsteht ein offenes Beziehungsfeld, das weder Holleins Schaffen noch heutige Tendenzen in ein Korsett zwängt. Eine grundlegende Erkenntnis bleibt: Das Phä- nomen Hollein ist weiterhin sowohl aufregend als auch anregend.

Hans Hollein im Dialog mit: Almannai Fischer Architekt:innen, München / baukuh, Mailand / Bovenbouw Architectuur, Antwerpen / Claudia Cavallar, Wien / Aslı Çiçek, Brüssel / Conen Sigl Architekt:innen, Zürich / doorzon interieur architecten, Gent / Expanded Design, Wien / Martin Feiersinger, Wien / David Kohn Architects, London / Kühn Malvezzi, Berlin / Lütjens Padmanabhan Architekt:innen, Zürich / Manthey Kula, Oslo / Monadnock, Rotterdam und Office Kersten Geers David Van Severen, Brüssel.

Die umfangreiche Publikation dient als Basis und Erweiterung der Ausstellung. Den ersten Teil bilden Interviews mit den 15 zeitgenössischen europäischen Architekturbüros, die das Werk Holleins mit ihrem eigenen architektonischen Schaffen in Beziehung setzen. Der zweite Teil der Publikation präsentiert die Auswahl der 15 Schlüsselprojekte aus dem Atelier Hollein – vorwiegend anhand von bisher unveröffentlichtem Archivmaterial aus dem Nachlass. Begleitende Betrachtungen von Monika Platzer zum Archiv Hans Hollein, Az W und MAK, Wien, sowie Mark Lee zum besonderen nordamerikanischen Kontext bieten Anknüpfungspunkte für weiterführende Auseinandersetzungen.

Hollein Calling. Architektonische Dialoge
21. September 2023 bis 12. Februar 2024, Ausstellungshalle 2
Eröffnung: 20. September 2023, 19:00

Publikation:
Hollein Calling
Architectural Dialogues
Herausgegeben von Lorenzo De Chiffre, Benni Eder, Theresa Krenn und Architekturzentrum Wien
ISBN 978-3-03860-340-5
Verlag: Park Books
220 Seiten
Sprache: Englisch