Hodenverzehr ohne Fanfarentöne

18. November 2013 Kurt Bracharz
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Die Essbarkeit der Hoden mehrerer Haustiere scheint in den meisten Kochbüchern immer noch ein Tabu-Thema zu sein. Während Stierhoden in Mittel- und Lateinamerika unverzichtbarer Bestandteil eines jeden Grillfestes sind und in spanischen Markthallen für jeden gut sichtbare Pyramiden aus ihnen aufgeschichtet werden, enthalten beispielsweise die Bücher "Grillen argentinisch" von Francis Mallmann und "Ein Mann, ein Rost. Das Grillbuch" von Augustin und Edlinger, beide 2013 erschienen, keinen noch so kleinen Hinweis auf Hoden, obwohl im ersten wirklich zahlreiche Rezepte rund um "die sieben Feuer Patagoniens" und im zweiten sogar eines für Heuschrecken am Spieß angegeben sind. In den alten Time-Life-Büchern "Die Kunst des Kochens", die alle sehr viele und teils entlegene Rezepte enthalten, werden Hoden weder im "Innereien"- (1981) noch im "Rind und Kalb"-Band (1078) erwähnt.

In Östereich war den Fleischhauern der Verkauf von Stierhoden lange Zeit auf Grund einer aus der Zeit der Monarchie stammenden Verordnung "aus hygienischen Gründen" verboten, die erst durch den EU-Beitritt aufgehoben wurde. Unter dem Ladentisch wurden Hoden als "weiße Nieren" gehandelt (und von den Kunden als "Stiereier" verlangt), und in manchen Gasthöfen werden sie auch heute noch so auf die Karte geschrieben. Die Sitte kommt möglicherweise aus Frankreich, wo vor allem Lammhoden als "rognons blancs" angeboten werden. Alle Hoden, ob von Stier, Hengst, Widder oder Ziegenbock, werden in Frankreich als "Animelles" bezeichnet.

Gerd Wolfgang Sievers ist in "Rind & Co. Alles rund ums Rindfleisch" (Wien 2009) nicht so zimperlich. Er gibt zwar kein genaues Rezept an, das ist aber auch nicht nötig, weil die Zubereitung einfach ist: "In Tschechien, Österreich und Norditalien werden sie zumeist in dünne Scheiben geschnitten und wie Schnitzel (also gebacken) zubereitet, serviert werden sie mit Kartoffel- oder grünem Salat. In Tschechien serviert man die Stierhoden auch in einer leicht paprizierten Sahnesauce als Ragout (mit Serviettenknödel). In Spanien werden Stierhoden in Tomatensauce geschmort oder auf der plancha (Grillplatte) gegrillt, in Mittel- und Lateinamerika wiederum werden sie zumeist nur kurz über offenem Feuer gegrillt."

US-Amerikaner kennen die gebratenen Stierhoden als "Prairie Oyster", also Prärieauster. "The Cowboy Dictionary" von Ramon F. Adams urteilt 1968 lakonisch: "Prairie oyster. What the cowman calls the roasted or fried testicles of a bull, considered by some to be a delicacy." Wenn man "prairie oyster" googelt, erhält man allerdings fast ausschließlich Rezepte für den gleichnamigen Cocktailmit einem rohen Ei, der ein Anti-Kater-Getränk sein soll. Die Webseite whatscookingamerica.net führt die prairie oyster als Rocky Mountain Oyster und gibt als weitere Synonyme Moutain Tendergroins, Cowboy Caviar, Swinging Beef und Calf Fries an.

Auch hier ist die Zubereitung simpel: "When the calves are branded, the testicles are cut off and thrown in a bucket of water. They are then peeled, washed, rolled in flour and pepper, and fried in a pan. (...) The rugged folks of the Rocky Mountain region are not squeamish. Testicle festivals are held every spring and fall in Montana. These festivals can be very rowdy and may not be the best place to bring your children. If you can’t get to a festival, many restaurants and bars in Montana, Idaho, and Kansas serve Rocky Mountain oysters all year long and with less fanfare."

Das Foto zeigt einen aufgeplatzten Hoden vor dem Abziehen der Haut.