Hier und heute

11. Februar 2015 Rosemarie Schmitt
Bildteil

Arnold Schönberg war sein Freund und beide gingen in Gustav Mahlers Haus ein und wieder aus. Er unterrichtete gar Schönberg in Komposition, doch dessen Liebe zur Atonalität vermochte er nicht zu teilen. Alexander Zemlinsky war mehr dem Lyrischen und der anschmiegsamen Harmonie zugetan. Seine Schwester Mathilde mochte wohl beides. Sie heiratete Arnold Schönberg.

Vielleicht war er sogar der größte unter den kleinen Komponisten. Mit seinen knapp 159 Zentimetern und einer, wie seine Zeitgenossen berichteten, sehr unattraktiven Erscheinung, war er ein gefundenes Fressen für die Karikaturisten. Auch Alma Schindler fraß gerne, sie galt als "Männerfresserin". Auch sie befand, dass Zemlinsky nicht attraktiv sei. Sie sagte, er sei kinnlos, klein und habe herausquellende Augen, außerdem dirigiere er zu verrückt. Dennoch, sie bewunderte Zemlinskys Intelligenz und war fasziniert von seiner erotischen Ausstrahlung. Ob Hans Fritz Beckmann beim Texten von "Man müsste Klavier spielen können ...." darüber bescheid wusste, dass, während sie gemeinsam Klavier spielten, Alma Schindler und Alexander Zemlinsky sich plötzlich so heftig küssten "mussten", daß die Zähne schmerzten?

Der damals 30-jährige Zemlinsky liebte Alma sehr, wollte sie "mit jedem Atom seines Fühlens". Wie man heute ihre damalige Sorge beurteilt, bezüglich einer eventuellen intimeren Verbindung mit Zemlinsky, möchte ich gar nicht wissen. Sie hatte Sorge, "degenerierte Judenkinder zur Welt zur bringen", und brach die Beziehung zu diesem Komponisten ab. Zu diesem! Sie heiratete dann Gustav Mahler.

Es dauerte, bis Alexander Zemlinsky die Trennung von Alma überwunden hatte. 1907 heiratete er Ida Guttmann und im darauffolgenden Jahr kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Alles gutt? Mitnichten! Denn es mangelte weder an Reden über seine Unattraktivität noch an Affären ... Eine seiner Gesangsschülerinnen (Luise Sachsel) wurde von ihm schwanger. Er bestand auf eine Abtreibung – wollte keinen Skandal. Sie blieb seine Geliebte. Ein Jahr nachdem Zemlinskys Ehefrau Ida (sie war noch keine 50) gestorben war, heiratete er Luise.

Aus der Zeit mit Alma Schindler stammen auch zwei Kompositionen Zemlinskys, die der Pianist Emanuele Torquati auf seiner CD "A Ray of Light" (Brilliant Classics) herausragend interpretiert: Das Menuett aus "Das Gläserne Herz" (1901) und "Ein Lichtstrahl" (1902), dem Jahr, in dem seine geliebte Alma den Kollegen Mahler heiratete.
"A Ray of Light" (ein Lichtstrahl) ist die CD, die mir die Augen, die Ohren und unweigerlich auch das Herz geöffnet haben, für die Kompositionen Alexander Zemlinskys.

Zunächst einmal für seine Klavierwerke, denn diese CD beeinhaltet seine komplette Klaviermusik. Weshalb bloß, habe ich mich nicht schon längst mit seiner Musik beschäftigt? Ja, verweigerte mich ihrer nahezu! Weil ich ihn als Zeitgenossen von Schönberg & Co abtat, zu deren disharmonischen und experimentellen Kompositionen ich keinen Zugang finde. Doch Zemlinsky ist keiner "von denen"! Zemlinskys Klaviermusik ist wundervoll harmonisch, schmeichelt mit seinen Melodien, ist, wie die Sätze seiner Ländlichen Tänze: warm, flüchtig, träumerisch, sehr schnell und leicht, hinträumend, energisch, sehr zart, heiter, einfach gemütlich, gut betont, sehr sanft, sehr lebhaft.

Obschon sich Zemlinsky und Schönberg entfremdet hatten, der Kontakt nahezu gänzlich abgebrochen war, sagte Arnold Schönberg im Jahre 1949: "Alexander von Zemlinsky ist derjenige, dem ich fast all mein Wissen um die Technik und die Probleme des Komponierens verdanke. Ich habe immer fest geglaubt, daß er ein großer Komponist war, und ich glaube noch immer fest daran. Möglicherweise wird seine Zeit früher kommen, als man denkt." (Quelle: Harenberg Komponistenlexikon, Auflage 2004, Meyers Lexikonverlag)

In einem sollte Schönberg nicht recht behalten, nämlich, dass Zemlinskys Zeit früher kommen wird, als man denkt. Jetzt ist seine Zeit gekommen. Für mich auf jeden Fall, denn "A Ray of Light" hat niemals besser in (m)eine Zeit gepasst, als ins Hier und Heute. Ein Danke an Brilliant-Classics für diese Erkenntnis und diesen Lichtstrahl!

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt