Hans Jörg Glattfelder – Was der Fall ist

Das Museum Haus Konstruktiv lässt sein Ausstellungsprogramm 2013 mit einer umfangreichen Einzelpräsentation des Schweizer Künstlers Hans Jörg Glattfelder ausklingen. Der 1939 in Zürich geborene und seit 1998 in Paris lebende Künstler zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen Repräsentanten der konstruktiven und konkreten Kunst.

Seine Arbeiten, in deren Konzeption oft auch mathematische und naturwissenschaftliche Erkenntnisse einfliessen, bestechen genauso durch ihren intellektuellen wie durch ihren formalästhetischen Reiz. Mit rund 80 Leihgaben aus öffentlichen und privaten Sammlungen gibt das Haus Konstruktiv einen Einblick in das vielschichtige OEuvre des Schweizer Künstlers, das neben Gemälden und industriell hergestellten Reliefs auch installative und eigens für die Ausstellung konzipierte Werke umfasst.

Mit dem Ausstellungstitel "Was der Fall ist" spielt Hans Jörg Glattfelder auf Ludwig Wittgensteins viel zitierte Aussage "Die Welt ist alles, was der Fall ist" an, mit der der österreichische Philosoph 1922 sein berühmtes Werk "Tractatus logico-philosophicus" begann. Glattfelder selbst betrachtet alles, was der Fall ist – etwa Dinge, die zueinander in Beziehung stehen, also Sachverhalte – als etwas Konkretes. Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist die Erkenntnis, dass Sachverhalte, oder eben das Konkrete, sich stets im Wandel befinden. Glattfelders Vorliebe für einen permanenten Wandel spiegelt sich im Zürcher Ausstellungskonzept wider: Auch wenn es sich um eine Retrospektive handelt – gezeigt werden Werke aus allen Schaffensphasen – meidet der Künstler selbst diesen Begriff und spricht lieber von Statements.

Hans Jörg Glattfelders Affinität zu wissenschaftlichen und philosophischen Fragestellungen geht zurück auf seine Zürcher Universitätszeit. In jungen Jahren studierte er einige Semester Jura, Kunstgeschichte und Archäologie, bevor er dann Anfang 1960er Jahre nach Italien zog, um dort seine künstlerische Laufbahn zu beginnen. In Florenz wurde sein frühes Schaffen von unterschiedlichen Avantgardebewegungen massgeblich geprägt. Inspiriert von der Op-Art und der Kinetischen Kunst entwickelte er eine eigene konkrete Formensprache. Die Beschäftigung mit räumlichen Strukturen führte zu ersten industriell hergestellten Reliefs. Sie zeigen eine Aneinanderreihung prismatischer Stäbe, später arbeitet Glattfelder mit einem modularen System aus Pyramidenelementen.

Anfangs der 1970er Jahre wendet sich der Schweizer Künstler verstärkt der Malerei zu, wobei die Frage nach der Darstellbarkeit von Raum auf einer Fläche im Zentrum steht. Er setzt sich intensiv mit wissenschaftlichen Raumdefinitionen auseinander, studiert u.a. verschiedene Theorien zur nichteuklidischen Geometrie und findet 1977 zu einer Bildschöpfung, die er "nicht-euklidische Metapher" nennt: Diese besteht aus meist viereckigen, jedoch nicht orthogonalen Bildträgern, die, in konvergierende Farblinien oder Farbfelder unterteilt, eine perspektivische Verzerrung und die Illusion eines gekrümmten Raumes hervorrufen. Es ist der Versuch, abstrakte Erkenntnisse aus der Naturwissenschaft in visuelle Äquivalente umzusetzen, wie beispielsweise das Prinzip der in der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein beschriebenen Krümmung des Raums. Auch wenn Glattfelders Arbeiten ein wissenschaftlicher Ansatz zugrunde liegt, sind sie keine mathematischen Anschauungsmodelle.

Auch die jüngsten Arbeiten spielen mit der Thematik einer gekrümmten Raumstruktur. Die Beschäftigung mit der nicht-euklidischen Geometrie und die Anwendung einer rational nachvollbarziehbaren Methode ziehen sich wie ein roter Faden durch Glattfelders Schaffen.

Hans Jörg Glattfelder – Was der Fall ist
24. Oktober 2013 bis 2. Februar 2014