Günter Brus

Der österreichische Aktionismuskünstler Günter Brus ist am 10. Februar 2024 in Graz verstorben. Das Kunsthaus Bregenz hat die geplante große Ausstellung wie vorgesehen am 16. Februar eröffnet.

Günter Brus bemalt sich weiß. Über den kahl geschorenen Kopf führt er den in schwarzer Farbe getränkten Pinsel, Augen und Mund sind geschlossen. Brus steht vor einer weißen Leinwand. Bild und Malakt, Motiv und Maler werden eins, während zugleich eine gespenstische Entfremdung und Zerteilung stattfindet. Diese Spaltung ist charakteristisch für eine Kunst, die in Vereinsamung und Qual ein gesellschaftliches Symptom erkennt. Die Arbeit wird zu einer Illustration der polarisierten Gegenwart. "Selbstbemalung", notiert Brus 1965, "ist eine Weiterentwicklung der Malerei. Die Bildfläche hat ihre Funktion als alleiniger Ausdrucksträger verloren. (...) Durch die Einbeziehung meines Körpers als Ausdrucksträger entsteht als Ergebnis ein Geschehen, dessen Ablauf die Kamera festhält und der Zuschauer miterleben kann."

Die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz, die mit Günter Brus und in enger Zusammenarbeit mit dem Bruseum am Universalmuseum Joanneum in Graz entstand, legt den Schwerpunkt auf den wilden und widerborstigen Brus. Ab Jänner 1960 verbringt Günter Brus einige Monate gemeinsam mit dem Künstler Alfons Schilling auf Mallorca. Dort lernen sie über die US-amerikanische Malerin Joan Merritt die Malerei der "New York School" kennen. Von den abstrakten Werken inspiriert, malt Brus Arbeiten auf Papier, deren kubische Formen zunächst architektonisch anmuten, sich später zu nervösen Schraffuren verdichten. Zurück in Wien beginnt er den Pinsel noch heftiger, fast wie eine Peitsche einzusetzen. Das Bild ist nicht mehr Ort der Gestaltung, sondern Raum rastloser Gesten und psychischer Abwehr. Malerei wird als aggressiver Akt wahrnehmbar, als Akt der Enthemmung, als Ausdruck zuckender Zerrissenheit und eines Todestriebs, der in eine sichtbare Spur drängt.

Die explosiven Gemälde des Informel bereiten den Weg für den nächsten, noch radikaleren Schritt: Günter Brus selbst wird zum Bildträger. Zu den bekanntesten Arbeiten dieser Serie zählt die öffentliche Aktion Wiener Spaziergang aus dem Jahr 1965. Der Künstler schlendert, bekleidet mit einem Anzug, vollständig weiß bemalt durch die Wiener Innenstadt. Eine schwarze Linie überzieht seinen Körper von Kopf bis Fuß, sie ist Riss, Narbe und Wunde zugleich. Brus wird von einem Sicherheitsorgan angehalten und mit einer Strafe belegt. In einer anderen Aktion mit seiner Tochter Diana steht er als gipserner Untoter in einer Raumecke. Gemeinsam mit seiner Frau Anna Brus, die auch bei zahlreichen Performances der Wiener Aktionisten mitwirkt, wälzt er sich, bandagiert, in einem weiß getünchten Raum. 1970 kommt es zu seiner letzten Aktion Zerreißprobe. Mit einer Rasierklinge fügt Brus sich Wunden zu, übergießt sie mit Urin und windet sich blutend am Boden. Einige dieser Aktionen werden von Avantgarde-Filmer Kurt Kren (1929–1998) frei, ohne Schnittplan, mit der Handkamera aufgenommen. Die filmischen Bilder der Aktion, die harte Schwarz-Weiß-Kontraste aufweisen, ziehen hastig vorbei. Das Dargestellte erscheint in der Abstraktion beinahe vollständig entkörpert.

Einen weiteren Schwerpunkt legt die KUB Ausstellung auf die Bild-Dichtungen. Für das Kunsthaus Bregenz wählte Günter Brus jene Serien aus, die sich mit Literaten beschäftigen, die selbst künstlerisch tätig gewesen sind oder ausdrucksstarke Metaphern geschaffen haben. Zyklen zu Emil Cioran und Victor Hugo sind düster, die Arbeiten zu William Blake erzählerisch und vielteilig.

Während des Lockdowns in der Pandemie entsteht die bislang jüngste Bildserie: bunte, märchenhafte Szenen als Aquarell und Mischtechnik auf Papier. Die Arbeiten zeigen Architekturen, Monster oder prekäre Ich-Zustände, Szenen der Einsamkeit, Angst und dunkler Verträumtheit.

Die KUB Billboards an der Bregenzer Seestraße erweitern die Ausstellung in den öffentlichen Raum und geben einzelne Fotografien aus der Serie Selbstbemalung aus dem Jahr 1964 wieder. Günter Brus zeigt sich im Selbstporträt. Gesicht, Hemd und Körper sind mit weißer Farbe bemalt, die Augen geschlossen. Die Bilder wirken wie Abdrücke einer Totenmaske. Ein schwarzer Pinselstrich zieht sich über das mumienhafte Antlitz. Es ist eine Narbe, die den Schädel teilt. Brus bemalt sich selbst. Isolation, Gefährdung, Verletzung und Existenz werden offenkundig.

Günter Brus (geboren 1938, Ardning) gilt gemeinsam mit Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler als Mitbegründer des Wiener Aktionismus und Pionier der Body Art. Der österreichische Maler, Grafiker, Aktions-künstler und Schriftsteller zählt zu den bedeutendsten lebenden Künstler:innen Österreichs. Günter Brusʼ Werk wurde in namhaften Institutionen präsentiert, unter anderem in der Slought Foundation, Philadelphia, 2006, im MACBA, Barcelona, 2005/2006, in der Albertina, Wien, 2003/2004, und im Centre Pompidou, Paris, 1993/1994. Günter Brus war Teilnehmer der documenta 7, 1982, der documenta 6, 1977, und der documenta 5, 1972, in Kassel. 2011 wurde mit dem Bruseum ein eigenes Brus-Museum innerhalb der Neuen Galerie in Graz eröffnet.

Günter Brus
17. Februar bis 20. Mai 2024