Great Britten !

28. Mai 2014 Rosemarie Schmitt
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Wenn man solch ein großartiger Musiker ist wie Mstislaw Leopoldowitsch Rostropowitsch (* 27. März 1927 in Baku; † 27. April 2007 in Moskau) und einen nicht minder großartigen Komponisten zum Freund hat wie Edward Benjamin Britten (* 22. November 1913 in Lowestoft, Suffolk; † 4. Dezember 1976 in Aldeburgh, Suffolk), dann darf man sich schon mal ein eigenes Konzert wünschen.

Es war im März 1962 als sich Mstislaw Rostropowitsch (zu jenem Zeitpunkt 35 Jahre alt) von seinem Freund Benjamin Britten (er war bereits reife 49 Jahre) ein Cellokonzert wünschte. So schrieb Britten gleich eine ganze "Symphony for Cello and Orchestra". Nachdem der Komponist dem Cellisten Rostropowitsch den ersten Satz vorab geschickt hatte, war dieser geradezu hellauf begeistert. Es sei "das Beste was je für Cello komponiert wurde" schrieb er seinem Freund Benjamin Britten.

Am 12. März 1964 fand in Moskau die Uraufführung statt. Selbstverständlich spielte Rostropowitsch den Cellopart und Benjamin Britten leitete als Dirigent das Moskauer Philharmonische Orchester, welches in folgender Besetzung konzertierte: Solo-Violoncello, 2 Flöten (2. auch Piccolo), 2 Oboen, 2 Klarinetten (auch Bassklarinette), 1 Fagott, Kontrafagott, 2 Hörner, 2 Trompeten, Posaune, Tuba, Pauken, Schlagzeug (Große und Kleine Trommel, Tamtam, Gong, Cymbeln, Klapper, Vibraphon), Streicher.

Diese Aufführung dauerte zwar nur circa 35 Minuten, doch diese müssen voller Freude für die Zuhörer und die Musiker gewesen sein. Musik, so beteuerte Rostropowitsch immer wieder, sei für ihn die reinste Freude und ein Hobby. Dass es Arbeit sei, davon sprach er nie. Und vielleicht kam es ihm deshalb auch niemals in den Sinn Urlaub zu machen. Bis auf jenes Mal im Jahre 1993. Rostropowitschs erster Urlaub nach mehr als 30 Jahren dauerte genau 2 Tage! Geplant waren 3 Wochen in Griechenland. Am zweiten Tag wusste der Musiker jedoch partout nicht mehr was er tun sollte und erklärte kurzum den Urlaub für alle (Frau, Töchter, Putzfrau, Hunde) als beendet. Fortan schwor er, bis zu seinem Tode niemals wieder Urlaub zu machen.

Was die "Symphony for Cello and Orchestra" betrifft, die Britten für seinen Freund komponierte, so hat diese doppelt so viele Sätze wie Rostropowitschs Familien-Urlaub in Griechenland, nämlich vier, wie es sich für eine Symphonie gehört. Die Satzbezeichnungen lauten: 1. Allegro maestoso / 2. Presto inquieto / 3. Adagio / 4. Passacaglia: Andante allegro.

Ein halbes Jahrhundert nach der Uraufführung hat nun Zuill Bailey jene Cello-Symphonie auf seine ganz eigene Weise eingespielt. Bailey (geboren am 24. April 1972 in Virginia / USA) ist einer der besten Cellisten weltweit und hat einen Exclusiv-Plattenvertrag mit dem Label TELARC (Inakustik). Als Benjamin Britten starb war Bailey viereinhalb Jahre alt, etwa so alt wie Rostropowitsch als jener das Klavierspiel erlernte. Und diese ganz eigene Weise von Zuill Bailey hat mich über die Maßen berührt und begeistert.

Sein Ton ist (ganz besonders im 3. Satz, dem Adagio) so dunkel, so warm, auf eine beinahe beängstigende Weise tief, wohltuend unheimlich, dennoch zart, süß und sündig wie eine Mousse au chocolat mit einer Riesenportion Sahne. Rostropowitsch interpretierte jenen 3. Satz viel energischer, ungestümer, hitziger und auch eine Nuance schneller als Bailey. Dennoch empfinde ich Baileys Spiel als leidenschaftlicher, heißblütiger, inniger und intensiver. Er trifft Brittens Ton perfekt, jenen depressiven Ausdruck voller Trübsal, Welt- und Herzschmerz. Dieser Cellist entfacht jene Gefühl eines sehr diffusen Beinahe-Unglücks, das man an manchen Tagen als Glück empfindet. Great Bailey!

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt