"Gemeine Wahrheiten" in der Weserburg

Zu Beginn der 1980er-Jahre etablierte sich in einigen deutschen Kunstzentren eine vitale, ungestüme und zuweilen radikale Malerszene, die das, was Malerei bis dahin war oder sein wollte, provokant in Frage stellte. Mit bewusst trivialen oder absurden Motiven und Themen wurde die Malerei vermeintlich der Lächerlichkeit preisgegeben. Schroffe Ablehnung gegenüber dieser Kunstszene war zunächst die Folge, deren wichtigsten Kristallisationspunkte Köln, Berlin und Hamburg waren.

In einer betont lapidar erscheinenden Malweise, die zwischen Abstraktion und Anleihen aus der Gegenstandswelt schwankte, wurden von den Künstlern großformartige Bilder geschaffen, die den "guten Geschmack" und die "Qualitäts-Kunst" attackierten. Häme und Zynismus auf die sich etablierende, neoliberale Gesellschaft der Helmut Kohl-Ära standen dabei im Vordergrund vieler Werke. Trotz der vorderhand eingenommenen "Scheißegal"-Attitude kann die Kunstszene, die sich um Büttner versammelte, als eine dezidiert Politische bezeichnet werden. Im Zentrum der damaligen Hamburger Malerszene standen neben Werner Büttner Martin Kippenberger und Albert Oehlen; ebenfalls zu seinem Umfeld gehörten Hubert Kiecol, Markus Oehlen und Georg Herold.

Die Bilder, Zeichnungen, Collagen und Skulpturen der Ausstellung widmen sich hauptsächlich dem Maler Werner Büttner, der nach dem Wiedererstarken der gegenständlichen Malerei in den 1960erund 70er-Jahre angetreten war, mit ihrem Illusionismus zu brechen und ihr endgültig alles Bourgeoise zu nehmen. Durch seine betont ruppige und grobschlächtige Malweise wendet sich Büttner gegen die bis dahin gängigen Vorstellungen, was abstrakte und was gegenständliche Kunst zu sein hat. Er nimmt alle schriftlichen, mündlichen oder künstlerischen Äußerungen aus seiner Lebenswelt auf, zermalmt das Vorgefundene motivisch wie inhaltlich und setzt es schließlich neu im Bild zusammen, sodass zuweilen markante Kombinationen entstehen, wie "Stilleben mit Wolpertinger und beschädigtem de Chirico" (1984).

Auch in seinen neueren Arbeiten, C-Prints, deren Motive Büttner trotz ihrer scheinbaren Nähe zu digital erstellten Bildern ganz handwerklich mit Messer und Schere collageartig zusammensetzt, wird dieses Einbeziehen sämtlicher lebensweltlicher Ausdrucksformen deutlich. Kaum ein anderer Künstler aus der Hamburger Malerszene der Zeit pflegt einen solch hintersinnigen Umgang mit Sprache und ihrem Verhältnis zur Kunst wie Werner Büttner. Titel wie „Die Probleme des Minigolfs in der europäischen Malerei“ (1982) oder "Moderne Kunst kann man verstehen, moderne Welt nicht" (1985) zeugen von seinem sinisteren Humor und Tiefsinn im Diskurs mit der Kunst. Andere Titel wie "Die Russische Revolution vom Hörensagen und in Öl" (1985) oder "Wetterfester Schmetterling" (2008) sprechen wiederum von Büttners treffender Gesellschaftskritik.

Die Ausstellung wurde vom ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe von den Kuratoren Peter Weibel und Andreas Beitin konzipiert. In Bremen wird die Ausstellung von Peter Friese in enger Zusammenarbeit mit Werner Büttner aufbereitet und in einer neuen Fassung gezeigt.

Zur Ausstellung ist im Verlag Hatje Cantz eine umfangreiche Publikation erschienen, hg. v. Peter Weibel und Andreas Beitin. Mit Texten von Andreas Beitin, Harald Falckenberg, Zdenek Felix, Eckhart Gillen, Walter Grasskamp, Eva Meyer-Hermann, Johannes Meinhardt, Daria Mille, Wolfgang Ullrich, Peter Weibel sowie einem Interview mit Werner Büttner von Oliver Zybok, einem Gespräch von Werner Hofmann mit Werner Büttner und Künstlerstatements von Jonathan Meese, Bazon Brock, Albert Oehlen im Gespräch mit Jörg Heiser sowie Daniel Richter.

Gemeine Wahrheiten
27. Oktober 2013 bis 23. Februar 2014