Gemach, gemach, Herr Paganini

21. August 2013 Rosemarie Schmitt
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Zu Beginn spielte er noch Konzerte anderer Komponisten, später interpretierte er nur noch eigene Werke. Werke, die kaum ein anderer Geiger in der Lage gewesen ist zu spielen. Musikalität wurde ihm möglicherweise in die Wiege gelegt, doch was er daraus zu machen im Stande gewesen ist, war ihm ebenso von Geburt an gegeben, ein genetischer Defekt.

Paganini litt an dem Marfan-Syndrom, einem Defekt, der seine außergewöhnliche Physiognomie begründet. Diese Erbkrankheit hat unter anderem eine Instabilität des Bindegewebes, sowie eine extreme Dehnbarkeit der Gelenke und übermäßig lange Finger zur Folge. Diese "Spinnenfingerigkeit" führte nicht nur zu einem auffälligen Äußeren, sondern versetzte den Musiker zudem in die Lage, für "normale" Menschen Unmögliches auf der Geige zu spielen. Andere Langfinger machten ihren Mitmenschen zu jener Zeit vermutlich weniger Freude!

Ein Teufels-Kerl und -Geiger, ein Exzentriker par excellence ist er gewesen, dieser Paganini. Seiner Spielsucht ging er nicht nur in der ein oder anderen Kaschemme oder in einem Casino nach, sondern auch in so manchem Schlafgemach (etwa in dem, der Schwester Napoleons). Gemach war ihm offenbar nur in diesem Zusammenhang bekannt, denn nein, gemach ist sicherlich kein Adverb, welches mir spontan zu Paganini einfällt. Einigen Musikern, die sich an seinen Kompositionen versuchten, und sich anschließend über deren Unspielbarkeit konsternierten, dürfte der Begriff Ungemach in den Sinn gekommen sein.

Ja, dieser Herr Paganini trieb es wild. Er pflegte sein Image und machte mit Hilfe der Musik aus einem Defekt eine Stärke, eine grandiose Einmaligkeit. Doch Paganini hatte 4 Saiten auf seiner Geige und sicherlich noch einige Seiten mehr hatte seine Persönlichkeit. Seiten, von denen nicht sehr viel bekannt ist (weil nicht so spannend?). Ein kleiner Tipp, zwar mittendrin, doch sagt man "am Rande": Wenn sie auf sehr unterhaltsame, spannende Weise mehr über Nicolò Paganini erfahren möchten, empfehle ich Ihnen, den wunderbaren und hervorragend recherchierten Roman "Der Teufel in Dresden" (dtv) von Klaus Funke zu lesen!

Wissen Sie, daß Paganini sich häufig und gerne auf’s Land zurückzog, um sich dort dem Gitarrenspiel zu widmen? Während seine Kompositionen für Violine vor allem seine legendären virtuosen Fähigkeiten unter Beweis stellen, betonen die Gitarrenwerke eher seine lyrische Seite. Diese Kompositionen für Gitarre waren nicht für die öffentliche Aufführung, sondern für das Musizieren im privaten Kreis bestimmt. Sehr viel Ruhiges, Ländliches, manchmal sogar Pastorales, Anmutiges, Sanftes, Verletzliches liegt in diesen Werken.

Die vorliegende 3-CD-Box von Brillant-Classics (Vertrieb: EDEL) faßt Paganinis vollständige Werke für Solo-Gitarre zusammen! Der 1972 in Neapel geborene, und deshalb italienische Gitarrist Luigi Attademo, hat diese Werke auf sehr sensible Art eingespielt. Er ließ sich nicht verleiten, dem Bild Paganinis zu folgen, das sich so viele von ihm machen, ein Bild, das er zugegebenermaßen, selbst von sich malte und gerne ausstellte. Sanft und gemach interpretiert Attademo Paganinis Kompositionen und zeigt uns jenen ungestümen Musiker von einer ganz anderen, sehr entspannten Seite.

Herzlichst,
Ihre Rosemarie Schmitt