Galizisches Kalifornien - Ölindustrie in der Doppelmonarchie

Vor etwa hundert Jahren, zur Zeit der Monarchie, wurden in Österreich etwa 5 Prozent des weltweit verbrauchten Erdöls gefördert. Österreich lag damit hinter den USA und Russland in der Welterdölproduktion an 3. Stelle. Am Nordabhang der Karpaten in Galizien, das ab 1772 Teil von Österreich-Ungarn war, entwickelte sich schon in den 1850er Jahren eine Erdölindustrie.

Heute ist dieses Gebiet zwischen Polen und der Ukraine aufgeteilt. Damals war Galizien mit rund 78.000 Quadratkilometer flächenmäßig das größte Kronland der österreichischen Reichshälfte – aber auch eines der ärmsten und wirtschaftlich rückständigsten. Die Bevölkerung lebte hauptsächlich von der Landwirtschaft, ohne daß diese selbst in den besten Erntejahren hohe Erträge brachte. Das rasche Bevölkerungswachstum führte deshalb häufig zur Unterversorgung. Ungefähr 50.000 Menschen starben jährlich an Fehl- und Unterernährung. Ab 1880 kam es zu mehreren großen Auswanderungsbewegungen. Über 800.000 Menschen zogen bis 1914 nach Amerika.

Galizien kannte weder Wohlstand noch Frieden. Und dennoch entwickelte sich hier eine monarchieweit einzigartige Industrie: 1909 wurden über 2 Millionen Tonnen Rohöl gewonnen – Galizien lag damit an dritter Stelle der weltweiten Erdölproduktion. Fachleute rühmten das große Potenzial der galizischen Ölvorkommen – es schien keinen Grund zu geben, warum die offenbar unerschöpflichen Erdöllagerstätten nicht den Eigenverbrauch der Monarchie decken sollten und nicht auch exportiert werden könnten. Andererseits war offensichtlich, dass der Zustand der Industrie so wie der des gesamten Kronlands und der Bevölkerung alles andere als gut war.

Zeitgenössische Ausdrücke wie "Galizische Hölle" oder "Galizisches Sodom" spiegeln Unterernährung, Analphabetentum und "die Idiotie des Landlebens" wider – während Bezeichnungen wie "Polnisches Baku", "osteuropäisches Pennsylvania", "österreichisches El Dorado" oder "Galizisches Kalifornien" die großen Erwartungen widerspiegeln, die die galizischen Ölfelder im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert auslösten. Erdöl – so hoffte man – würde die Rettung für das Kronland sein, das ansonsten nur wenige Rohstoffe aufwies, auf denen man eine florierende Wirtschaft aufbauen konnte.

In den frühen Jahrzehnten der Erdölindustrie lehnten die Unternehmer staatlichen Einfluss oder gar staatliche Kontrolle vehement ab, wodurch eine Konsolidierung lange verhindert wurde. Jeder der genug Kapital hatte, ein auch noch so kleines Grundstück zu pachten, konnte ins Ölgeschäft einsteigen. So konnten sich zwar schon Kleinbauern als Unternehmer fühlen, und Großgrundbesitzer ihren Pachtzins maximieren. Andererseits aber wurden damit jahrzehntelang die Vorteile einer koordinierten Entwicklung der Ölfelder vergeben.

Ab den 1880er Jahren brachte eine neue Generation von Industriepionieren neue Technologien und Geschäftspraktiken in das "rückständige" Kronland. Vor allem zwei Personen brachten es zu Berühmtheit: der kanadische Bohrtechniker William Henry MacGarvey und der polnische Unternehmer Stanislaw Szczepanowski. Sie wollten einerseits im Erdölgeschäft ein Vermögen machen, andererseits versprachen sie, die schwache Wirtschaft Galiziens anzukurbeln und damit einen Beitrag zur Wiedererstarkung Polens zu leisten.

Die Erdölförderung in Galizien erreichte zwischen 1895 und 1909 ihren Höhepunkt. Unerwartet große Erdölfunde führten zu einer Produktionssteigerung von 50 Prozent innerhalb eines Jahres. Binnen drei Jahren verdreifachte sich die Menge des geförderten Öls. Aber der überströmende Reichtum an Öl sollte den meisten Produzenten nur finanziellen Ruin bringen, denn das Überangebot an Öl führte angesichts der mangelnden Organisation und Konsolidierung der Erdölindustrie zu einem verheerenden Preisverfall. Aus Mangel an Lagerkapazitäten war man gezwungen, das Öl sofort zu verkaufen, und die untereinander konkurrierenden Produzenten boten das Erdöl zu immer tieferen Preisen an.

Der Ruf nach staatlichen Interventionen zur Rettung der Erdölindustrie wurde immer lauter. Im 19. Jahrhundert hatten sich die Erdölproduzenten bei der Regierung um einen effektiven Zollschutz bemüht, jeder anderen staatlichen Einflussnahme standen sie ablehnend gegenüber. Jetzt aber sollte der Staat für stabile Preise sorgen, indem er für die Abnahme des Erdöls garantierte, das ansonsten weder verkauft noch gelagert werden konnte. So wurden die Eisenbahnen auf Erdölbefeuerung umgestellt und hohe staatliche Investitionen ermöglichten den Bau von Erdölreservoirs und größeren Raffinerien in unmittelbarer Nähe zu den Ölquellen. Auch Militär wurde bereitgestellt, um die sich häufenden Streiks der Ölarbeiter niederzuschlagen.

Ab 1909 ging die Erdölproduktion in Galizien plötzlich – und unerklärlicherweise – zurück. Da konnte auch der Staat nicht helfen. Jahr für Jahr sanken zwischen 1910 und 1918 die Produktionsraten, während der Erdölverbrauch in bisher nie da gewesenen Ausmaß zunahm - wegen der raschen Verbreitung von Verbrennungsmotoren, nicht zuletzt infolge der mechanisierten Kriegsführung im 1. Weltkrieg.

Alison Frank


Ölrausch - Frühe Erdölindustrie in Galizien
26. Juli 2007 bis 31. März 2008